Sanfter Mond über Usambara
Hinterbacke des unglücklichen Maultiers mit der Pranke gestreift.
» Gott der Herr hat seine schützende Hand über uns gehalten « , murmelte Missionar Siegel mit bebenden Lippen. » Wir wollen ein Gebet sprechen. «
Weder George noch Charlotte schien dies der rechte Augenblick zum Beten. Die Maultiere drängten davon, und Elisabeth, die nun völlig übermüdet war, weinte noch immer bitterlich. Aber dieses Mal gehorchten die Schwarzen dem Missionar. Sie dankten Jesus Christus für seinen Schutz, der alle Dämonen besiegte und sogar den chui, den mächtigen Todbringer, vertrieb, den Herrn des Urwalds.
Charlotte hatte ebenfalls die Hände gefaltet, während der Missionar das Vaterunser auf Suaheli sprach, George hielt die Kleine auf dem Arm, schaffte es aber gleichzeitig, sein Gewehr an sich zu nehmen. Sie konnten keinesfalls sicher sein, ob es der Leopard nicht ein zweites Mal versuchen würde. Als das Amen gesprochen war, hatte auch Elisabeth sich beruhigt. Die Maultiere schnaubten leise, die meisten Fackeln waren niedergebrannt und mussten ersetzt werden.
» Still! « , sagte George, als einer der Schwarzen das Buschmesser hob, um einen trockenen Ast abzuschlagen. » Hört doch mal! «
Man vernahm das Rauschen des Flusses, hin und wieder keckerte ein Affe, der im Schlaf gestört worden war, ein Schwarzer hustete, der Rauch der Fackel war ihm in die Nase gestiegen. Dann plötzlich wehte der Nachtwind befremdliche Töne zu ihnen herüber. Sie klangen wie ein abgerissenes, weit entferntes Klagen, und Charlotte brauchte eine kleine Weile, um die Melodie zu erkennen.
» Macht hoch die Tür, die Tor macht weit, es kommt der Herr der Herrlichkeit… «
» Das… das ist ein deutsches Weihnachtslied « , murmelte sie.
Es war vollkommen verrückt, diese Melodie hier inmitten des Urwalds zu vernehmen, zwischen all den geheimnisvollen Wesen, den duftenden Pflanzen, dem magischen Zauber der afrikanischen Wildnis.
» Dort entlang « , befahl George hochzufrieden. » Genau wie ich gesagt habe! «
Nur eine Viertelstunde später erklommen sie den Hügel und erreichten die Missionsgebäude, wo die beiden Missionare mit ihren Schwarzen deutsche Kirchenlieder übten.
Der Morgenhimmel war von hellen Schleierwolken überzogen, ein mildes und doch klares Licht lag auf der Landschaft und zeigte sie in sanfter Schönheit. Was Charlotte noch gestern als steiler Berggrat erschienen war, glich nun einer Kette weicher Hügel, von dunkelgrünen Wäldern bedeckt, aus denen nur gelegentlich ein grauer, zerklüfteter Fels herausstach. In der Talmulde reihten sich kleine Erhebungen aneinander, eine Kette geschwungener Linien, die in der Entfernung immer schwächer und zarter wurden. Die Kuppen dieser Hügel waren mit Gras bewachsen, kleine Büsche und Farnkräuter waren zu sehen, auch einzelne mächtige Bäume ragten empor wie übrig gebliebene Urwaldriesen. Auf einigen dieser Hügelkuppen konnte man die Hütten der Eingeborenen erkennen und auch die bunten Rechtecke ihrer Felder, auf denen sie Mais, Bohnen, Tabak und Zuckerrohr pflanzten. Nach Westen hin, vom Dunst der Wolken umweht und bläulich gefärbt, lagen die höchsten Gipfel des Usambara-Gebirges, einige davon waren über zweitausend Meter hoch.
» Was hätte man aus diesem romantischen Fleckchen Erde alles machen können « , sagte Peter Siegel mit einem tiefen Seufzer. » Aber die Sache der Mission schreitet hier in Wuga leider nicht so recht voran… «
Sie saßen im ersten Stock des Missionsgebäudes an einem aus Kisten zusammengezimmerten Tisch, auf dem ihnen ein junger Afrikaner gerade das Frühstück serviert hatte. Stolz hatte er eine bemalte Teekanne aus Porzellan vor sie hingestellt, vermutlich der größte Schatz der Missionarsfrau, den sie wie ihren Augapfel hütete. Die Tassen dazu waren schon etwas angeschlagen, der Teller, auf dem mehrere Stücke trockenes Gerstenbrot und in Öl gebackene Bananenküchlein lagen, war aus Ton. Dazu gab es wilden Honig und eine rote, ungeheuer aromatische Marmelade, die Charlotte noch nie zuvor gegessen hatte.
» Aber es tut sich doch sehr viel hier, Peter « , wandte sie ein. » Schau nur, was für ein Gewimmel dort unten im Hof herrscht. Sie haben sogar eine Druckmaschine, die die Schwarzen bedienen können. «
Das Missionsgebäude war im Grunde ein Flickwerk. Vermutlich hatte es zuerst nur ein Häuschen aus gebrannten Ziegeln mit schilfgedecktem Spitzdach gegeben, dann hatte man ein zweites erbaut und die Gebäude
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