Sanfter Mond über Usambara
noch in der Nacht die Wunden des Maultiers versorgt, hatte sich um das verschreckte Geschöpf genauso sorgsam gekümmert wie um einen verletzten Menschen. Jetzt schien er eifrig mit dem Besitzer und dem Missionar zu verhandeln, und sie war neugierig, was dabei herauskommen würde. Die drei Träger aus Mombo hatten gestern Nacht energisch ihren Lohn gefordert, wahrscheinlich fürchteten sie, eine weitere Nachtwanderung mitmachen zu müssen. Sie wollten auf keinen Fall bis Hohenfriedeberg gehen, sondern noch heute nach Mombo zurückkehren.
Peter Siegel hatte sein karg bemessenes Frühstück inzwischen beendet. Jetzt stand er auf und ging nachdenklich in dem kleinen Raum umher, besah sich die aus Brettern zusammengezimmerte Kommode, das hölzerne Kreuz an der gekalkten Wand und ließ dann den Blick über die Buchrücken in den Hängeregalen schweifen.
» Geographie, Sprachforschung, Botanik– wo sind die Werke, die uns geistige Nahrung geben? Nicht mal eine der Schriften von Pfarrer Bodelschwingh ist hier zu finden! «
Charlotte spülte das trockene Gerstenbrot mit etwas Tee hinunter. Der Appetit war ihr vergangen. Es hätte so schön und friedlich hier sein können ohne Peters beständiges Genörgel. Arme Klara! Wie viel Geduld brauchte eine Ehefrau, um es mit solch einem Menschen auszuhalten! Sie verspürte große Lust, Peter zu widersprechen, ihn herauszufordern und zu widerlegen, doch sie besann sich eines Besseren. Nichts sollte ihr herzliches Verhältnis zu Klara trüben, um ihretwillen würde sie sich zusammenreißen und jeglichem Streit mit Peter aus dem Weg gehen. Ernst nehmen konnte sie diesen Menschen sowieso nicht.
» Weißt du, was sie mit dem Zuckerrohr machen, das sie da drüben am Hang anbauen? « , fragte er hämisch und wandte sich von den Büchern ab.
» Ich glaube, sie machen eine Art Schnaps daraus. «
» So ist es! « , rief er mit flammender Empörung. » Oh, der Teufel ist überall, er läuft umher wie ein brüllender Löwe, und wer sich ihm nicht entgegenstellt, der ist ein schlechter Hirte! Wie kann ein Missionar so etwas dulden und noch dazu selbst ein Beispiel von Trunkenheit geben? «
Charlotte antwortete nicht. Unten war eine Gruppe grauer Äffchen blitzschnell aus den Ästen gesprungen und hatte sich auf einen Korb Eier gestürzt, den ein schwarzes Mädchen auf dem Fenstersims abgestellt hatte. Es gab viel Geschrei, das Federvieh gackerte und stob auseinander, die eilig herbeigelaufenen Schwarzen warfen Steine nach den Dieben– vergeblich.
» Hat er gestern Abend nicht Alkohol ausgeschenkt und auch selbst welchen getrunken? « , fuhr Peter Siegel leiser fort, denn soeben kam der schwarze Junge, um den Tisch abzuräumen.
» Ein kleines Gläschen Weinbrand zur Begrüßung– na und? Es war wirklich eine Wohltat nach all den aufregenden Ereignissen, ich glaube nicht, dass das jemandem geschadet hat. «
» Wenn man dem Teufel den kleinen Finger reicht, so wird er stets die ganze Hand nehmen und die Seele noch dazu! Es ist jammerschade, ein guter Missionar könnte aus dieser Station einen wahren Garten Eden machen, Gottes Reich auf Erden… «
» Entschuldige mich, ich möchte rasch nach Elisabeth schauen. Sie scheint den Tag verschlafen zu wollen. «
» Weck sie nur auf– wir müssen uns bald auf den Weg machen! Es ist schon nach acht Uhr. «
Unten hatten Georges Verhandlungen inzwischen Früchte getragen. Er hatte erreicht, dass das kranke Maultier in der Missionsstation bleiben konnte, dafür erhielt der Besitzer einen Esel, der zur Mission gehörte. Dieser wirkte nicht so ganz glücklich über den Tausch, besah das Grautier immer wieder von allen Seiten, schaute ihm ins Maul, in die Ohren, untersuchte die Hufe, aber schließlich schien er einzusehen, dass ein gesunder Esel besser war als ein krankes Maultier.
Mit einem zufriedenen Grinsen schaute George hinauf zum Fenster und winkte Klaras Ehemann zu.
» Wenn ihr beide euer Frühstück beendet habt, können wir aufbrechen. Missionar Gleiß stellt uns freundlicherweise drei Maultiere und einen Träger zur Verfügung. «
» Dafür danken wir ganz herzlich! « , rief Peter nach unten. Charlotte hatte schon die Tür zum Nebenzimmer geöffnet, doch sie hörte ihn noch brummeln, dass drei Träger und ein Maultier besser gewesen wären.
Eine halbe Stunde später stand die Karawane schon wieder zum Abmarsch bereit. Die Einzige, die überhaupt keine Lust auf die Weiterreise hatte, war Elisabeth. Charlotte hatte sie aus dem Schlaf
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