Sanfter Mond über Usambara
reißen müssen, auch das Frühstück war nicht nach dem Geschmack der jungen Dame gewesen, und zu allem Überfluss hatte die Mama sich strikt geweigert, Fräulein Mine aus dem Koffer zu nehmen. Die Puppe konnte herunterfallen, wenn Elisabeth sie unterwegs im Arm hielt, deshalb würde sie ihren Liebling erst am Abend in Hohenfriedeberg bekommen.
Missionar Gleiß schüttelte Charlotte und George die Hände und strich der heulenden Elisabeth mitleidig über die tränenfeuchte Wange. Verlegen bat er sie, seine Frau zu entschuldigen. Sie sei zurzeit leider sehr unglücklich, weil sie vor einigen Wochen ein Kind verloren hatten.
» Unsere kleine Bertha war noch keine zwei Jahre alt, als Gott sie zu sich nahm. Wir müssen Gottes Willen in Demut akzeptieren, aber für meine Frau ist es besonders hart. Es ist schon das dritte Kind, das uns genommen wird, deshalb schmerzt sie der Anblick von Kindern. Bitte nehmen Sie das nicht persönlich… «
» Natürlich nicht « , erwiderte Charlotte betroffen. » Richten Sie ihr bitte aus, dass ich sie gut verstehen kann. Auch ich habe kürzlich ein solches Unglück erlitten. «
Dunkle Wolken hatten sich über ihnen zusammengezogen, und sie hatten Eile, wenigstens den Urwald zu erreichen, wo sie vor dem drohenden Platzregen besser geschützt wären. Zusammen mit Trägern und Maultieren folgten sie einem gewundenen Eingeborenenpfad in nordwestlicher Richtung und erreichten nach einer guten Stunde eine Hochebene. Hier gab es zu ihrer Freude eine Straße.
» Die führt zur Domäne Kwai « , erklärte Peter Siegel.
Die 1886 aufgebaute biologisch-landwirtschaftliche Teststation, in der unter anderem der deutsche Mediziner und Mikrobiologe Robert Koch an der Erforschung verschiedener Tropenkrankheiten arbeitete, war schon bald zur Staatsdomäne erklärt worden und für die Kolonie von ziemlicher Bedeutung. Dennoch war die Straße eher ein Feldweg, von zwei tiefen Fahrrinnen durchzogen, in denen jetzt nach dem Regen das Wasser floss. Sie mieden die schlammigen Rinnen und bewegten sich in der Mitte, wobei sie darauf achteten, die Füße auf Grassoden zu setzen, um möglichst wenig im Matsch zu versinken. Trotzdem waren schon nach einer knappen Viertelstunde die Beine von Mensch und Tier mit rötlichem Schlamm verklebt, einer der Träger war sogar knietief im Morast versackt. Elisabeth hatte sich wieder beruhigt, Fräulein Mine war vergessen, dafür kicherte sie schadenfroh über Georges schlammbespritzte Hose.
Trotz aller Widrigkeiten besah Charlotte neugierig die Landschaft. Hier hatte man den Urwald in großem Stil gerodet, breit angelegte Felder, auf denen sogar Kartoffeln und Hafer angebaut wurden, öffneten sich dem Blick. Auf den Weiden sah sie große Herden brauner und gefleckter Kühe, die ganz offensichtlich prächtig gediehen, hölzerne Unterstände boten den Hirten und Arbeitern Schutz vor den tropischen Regenfällen.
» Manche Pflanzgesellschaften besitzen zehn und mehr Plantagen « , ließ sich Peter Siegel wieder vernehmen. » Sägewerke legen sie an, ziehen Stichbahnen durch den Urwald, roden einen Acker nach dem anderen. Sie nutzen die Schwarzen als billige Arbeitskräfte, aber ihre Seelen, die kümmern sie nicht. «
» Gibt es denn nicht auch kleinere Plantagen? «
» Gewiss, aber viele kommen als Glücksritter hierher und geben wieder auf, wenn der erwartete Reichtum in den ersten Jahren ausbleibt. Wir Deutschen zeigen den Eingeborenen, dass der Mammon die Welt regiert– wie sollen sie da zu wahrem christlichem Glauben finden? «
Diesmal hatte Peter Siegel nicht ganz unrecht, dachte Charlotte. Mit fachmännischem Blick begutachtete sie die Pflanzungen und stellte fest, dass die Kaffeebäume ziemlich mickrig waren. Kein Wunder, es gab kaum Schattenspender auf den Feldern, nur vereinzelt eine Akazie oder eine einsame Bananenstaude. Möglicherweise war der Boden auch schon ausgelaugt.
» Nun, mein Schatz? « , hörte sie Georges heitere Stimme. » Überlegst du, wie du dieser Plantage aufhelfen könntest? Ich sehe es dir an der Nasenspitze an. «
» Das würde mir schon gefallen « , gestand sie. » Aber ich weiß ja, dass ein gewisser Dr. George Johanssen auf einer solchen Plantage nicht gedeihen kann. «
» Oh, es ist recht hübsch und ländlich hier « , witzelte er. » Kühe in Mengen, und wären da nicht die Berge, so könnte man meinen, in Ostfriesland zu sein. «
» Nur dass sich aus dieser Kuhmilch keine Butter herstellen lässt. «
» Aber Tabak kann man
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