Sanfter Mond über Usambara
bodenlange Kleidchen gewandet, die auch in Deutschland Mode waren, nur die Sandalen an den bloßen Füßen wären in der Heimat ungewöhnlich erschienen. Das Jüngste hatte noch den Daumen im Mund.
Charlotte spähte aufgeregt nach Klara, doch in dem Gewimmel, das in dem lang gestreckten, verwinkelten Hof herrschte, konnte sie ihre Cousine nicht entdecken. Hühner, Ziegen und Schafe liefen zwischen den Menschen umher, Eingeborene halfen den Trägern, ihre Lasten abzustellen, eine schwarze Frau reichte Charlotte einen Becher mit köstlicher, kühler Limonade. George hatte Elisabeth vom Maultier gehoben und wandte sich dann zu Charlotte um, die mit steifen Beinen aus dem Sattel rutschte.
» Hast du sie schon gesehen? « , fragte er verschmitzt und wies zu dem zweistöckigen Missionshaus hinüber.
Eine zierliche Frau im hellblauen Kleid stand dort am Fenster und hielt ein Kind im Arm. Klara hatte sich ein weißes Tuch ums Haar gebunden, und ihr Gesicht erschien Charlotte sehr klein und blass. Auf Sammis Köpfchen war ein rosiger Flaum zu sehen– der Kleine schien rotes Haar zu bekommen.
» Klara! « , brüllte jemand neben ihr. » Was stehst du da? Komm herunter, ich bin durstig und müde! «
Peter Siegels Miene, die eben noch freudig und stolz gewesen war, hatte jetzt einen leidenden Ausdruck angenommen.
» Für alle hat sie Zeit, nur für mich nicht « , fügte er erklärend hinzu, als er Charlottes erstaunten Blick bemerkte.
Der große Raum, in dem man gemeinsam die Abendmahlzeit einnahm, war sehr schlicht gehalten, nur ein dunkles Holzkreuz und ein Bild von Pastor Bodelschwingh schmückten die gekalkten Wände, das Mobiliar bestand aus selbst gezimmerten Stühlen, einem langen Tisch und einem Lesepult, das für die Bibelstunden und Andachten verwendet wurde. Die eingeborenen Frauen hatten den Tisch mit Zweigen und Blüten geschmückt, und auch die Speisen waren schmackhaft zubereitet. Gebratene Bananen mit Nüssen und Ananas, Hühnerfleisch mit Ingwer gewürzt, eingelegte Bohnen, Kompott aus Mango und Kürbis, mit dem Aroma reifer Zitronen– man konnte gar nicht alles aufzählen, was an diesem Abend aufgetischt wurde. Dennoch fühlte sich Charlotte befangen, eine Empfindung, die sie sich nicht so recht erklären konnte, zumal Elisabeth, die mitten unter den Kindern saß, bester Laune war. Eigentlich konnte sie glücklich sein, ihre Tochter schien sich leicht zurechtzufinden. Sie selbst jedoch hatte Schwierigkeiten, sich unter den vielen freundlichen Christen schwarzer und weißer Hautfarbe wohlzufühlen.
» Lasset uns nun noch einmal Gott dem Herrn danken, der euch auf dieser gefahrvollen Reise treu geleitet und sicher zu uns gebracht hat… «
Missionar Becker wiederholte den Satz in einer für Charlottes Ohren ungewohnten Mischung aus Suaheli und der Sprache der Waschamba, damit auch die schwarzen Diakone ihn verstehen konnten. Seine Stimme war sehr hell und klang ein wenig gepresst, ansonsten war er ein liebenswerter älterer Herr, weißbärtig, die Nase kräftig, der Hals ein wenig dünn. Er erinnerte Charlotte an einen Gartenzwerg.
Sie faltete die Hände und senkte den Kopf, während der Missionar betete, konnte sich aber nicht verkneifen, heimlich zu Klara hinüberzuschauen. Sie hatten sich nur kurz, viel zu kurz begrüßen können, eine einzige Umarmung, aus der sich Klara– ganz anders als früher– rasch wieder löste, als habe sie Angst, sich allzu sehr ihrer Rührung hinzugeben. Auch das endlose Reden und Schluchzen, das ihre Cousine in solchen Momenten immer überfiel, war dieses Mal ausgeblieben. Weshalb? Hatte Klara ihr übel genommen, dass sie ohne sie nach Deutschland gereist waren? Aber das war doch ihre eigene Entscheidung gewesen. Oder etwa nicht?
Klara hatte sich nicht neben sie an den Tisch gesetzt, sie saß schräg gegenüber bei ihrem Mann und hielt den kleinen Sammi auf dem Schoß. Tatsächlich, Klaras Sohn hatte einen zarten hellroten Flaum auf dem Köpfchen. Ansonsten sah er genauso aus wie auf ihren Zeichnungen, das Gesichtchen schmal , die Augen sehr groß und ein wenig umschattet.
Klara hatte ihren Blick gespürt und schaute nun ebenfalls zu ihr hinüber. Ein kleines Lächeln huschte über ihr Gesicht, dann senkte sie die Augen, und ihre Züge nahmen wieder einen ernsten Ausdruck an. Aber Charlotte war getröstet– es war das altvertraute Lächeln ihrer Cousine, schüchtern und zugleich unendlich herzlich. Nein, Klara war ihr nicht böse, es hätte auch gar nicht zu ihr
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