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Sankya

Sankya

Titel: Sankya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zakhar Prilepin
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Plastilin geformt. Es hatte den Eindruck – würde er es runzeln oder aus ganzer Kraft zwinkern, dann würden Stücke von etwas Fremdem, Angepapptem von seinem Gesicht herunterfallen.
    Er brachte sich in Ordnung, betrachtete sich im Spiegel: Ein Gesicht wie jedes andere. Sein Gesicht. Die Hände wusch er nicht.
    Er trank das Bier aus, bat um die Rechnung.
    Er schaute sie dann voller Verwunderung an, weil er nicht verstand, warum sie so niedrig war.
    Dann kam er dahinter: Die Rechnung hatte die zweite Kellnerin gebracht, die nicht wusste, dass Sascha schon lange hier gesessen und sowohl Schweinefleisch als auch Wodka gehabt hatte.
    Ohne zu überlegen, zahlte er nur, was ihm verrechnet worden war, und ging aus dem Waggoneingang raus.
    »Mein Waggon ist weit von hier … Ich bin durch sechs oder sieben Durchgänge gekommen, als ich den Speisewagen such-
te …«, erinnerte sich Sascha.
    Schnellen Schrittes eilte er durch den Zug und dachte im stumpfen Rausch: »Sie werden mich nicht finden, nein. Da müssen sie ja in jedes Abteil hineinschauen. Sie finden mich nicht.«
    Manchmal kamen ihm die Schaffnerinnen in die Quere – sie warfen verwunderte Blicke auf Sascha: Er ging wohl zu eilig, klapperte zu laut mit den Türen.
    Er rauschte an seinem Abteil vorbei, ging zum Waggoneingang, steckte sich eine Zigarette an, grinste niederträchtig und der Hass auf seine eigene Niedertracht war süß.
    »Reicht’s für die Hölle?«, fragte er leise. »Es reicht nicht? Ich mach noch etwas anderes.«
    Er schaute aus dem Fenster. Jemand anders stand noch beim Eingang. Kaum hatte er die halbe Zigarette geraucht, kam die Kellnerin, die erste.
    »Sie haben nur die Hälfte der Rechnung bezahlt«, sagte sie mit vor Überdruss und Feindseligkeit bebender Stimme.
    »Kein Problem«, antwortete Sascha in gelassenem, und deshalb besonders fiesem Tonfall. Er holte Geld hervor, und steckte ihr, ohne zu schauen, fast alles, was er hatte, in die angewiderte Hand.
    Zu Hause angekommen, rief er Matwej an.
    »Hallo, Sascha, freut mich, dich zu hören. Es hat alles geklappt, ich weiß schon«, sagte Matwej wie zur Bestätigung, ohne etwas zu fragen.
    »Das war nicht ich«, sagte Sascha.
    »Ich weiß, ich weiß«, antwortete Matwej.
    Sascha saß eine Zeitlang beim Telefon, schaute den Hörer an, betrachtete den Apparat. Da war niemand mehr, den er hätte anrufen können. Es fiel ihm auch keiner ein, den er anrufen hätte wollen.
    Er zog sich an, ging auf die Straße hinaus. Lief einfach los.
    Er schlenderte durch die morgendliche Stadt – es war widerlich, kalt und windig.
    Er fühlte sich in dieser Stadt immer wie auf Besuch. Als wäre er als kleiner Junge zu einer unfreundlichen Tante gekommen, der sich ständig geniert, beim Mittagessen um einen Nachschlag zu bitten oder um Erlaubnis zu fragen, ob er auf die Toilette gehen darf. Denn die Kochtöpfe für die Suppen sind klein, mehr hat da keinen Platz, und gegenüber der Toilette läuft ständig die Tante herum, geht hin und her. Und überall ist Staub, und das Radio läuft die ganze Zeit, plappert wie blöd … Das war sein Eindruck von der Stadt – unangenehm, unbequem. Als würdest du ewig warten: Wann holen sie dich endlich nach Hause zurück.
    Aber zu Hause ist niemand. Niemand holt dich ab.
    Sascha hatte sich daran natürlich gewöhnt.
    Niemand hatte ihn je gesehen, wenn er traurig war. Kein einziger hat ihn ab der siebten Klasse je beleidigt.
    Sascha erinnerte sich manchmal: Hatte er vielleicht mal eine Beleidigung vergessen, irgendwem vorschnell verziehen? Nein, das hatte es nicht gegeben. Es ging immer alles nur mit Ablehnung – er pöbelte, schlug anderen ins Gesicht und prügelte auf sie ein, zeigte immer die Hörner.
    Doch jetzt lief er nur herum, wusste nicht auf wen eindreschen. Und noch dazu war er hungrig …
    Ich muss Arbeit finden, dachte er. Überhaupt kein Geld. Ich muss irgendwas finden. Beschissenes Land, und da musst du auch noch irgendwo arbeiten. Den Hof kehren, Mörtel mischen, Töpfe tragen, Pakete schleppen und abends fernsehen, wo diese abstoßenden Untiere ihre Grimassen schneiden, wenn sie erzählen, wie sie sich um dich kümmern. Ihre Gesichter … In letzter Zeit wurde Sascha schon krank, wenn er nur ihre Gesichter sah. Er schaute auf ihre Münder und Augen. Manchmal stellte er den Ton ab, dann wurde die Widerwärtigkeit dieser Masken so deutlich, dass er Gänsehaut bekam.
    Er musste Arbeit finden, ja. Und nicht fernsehen. Sonst ist es überhaupt nicht zu

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