Sankya
11
Im Eingang des Waggons begann Sascha zu lachen. Allein, mit einer Zigarette, der Zug fuhr aus Riga hinaus – Sascha keuchte; als er im Fenster sein böses, zähnefletschendes Gesicht sah, lachte er.
In der Innentasche seiner Jacke gluckerte eine noch gefüllte Wodkaflasche. Von Zeit zu Zeit trank Sascha direkt aus der Flasche, ohne etwas dazu zu essen. Er atmete dann durch die Nase, verzog die Lippen. Er spuckte in den Aschenbecher, die Asche spritzte dabei auf, direkt in die Augen.
Er begann abermals zu lachen, hörte aber abrupt damit auf, als würde er eine Maske herunterreißen.
Die Schaffnerin kam heraus, sie schaute argwöhnisch – als sie sich wegdrehte, schnitt Sascha eine Grimasse.
»Du denkst, ich werde ›Gott sei Dank‹ sagen?« Das fragte er laut und schaute dabei aus dem Fenster – irgendwohin.
»Ich werde es nicht sagen.«
»Warum, ach Gott, hast du dieses Leben genommen? Ich werde es woanders nehmen«.
Er presste die Stirn ans Glas, spähte nach irgendetwas, nach irgendwem. Er berührte die Patronenhülse in der Tasche, die er dort, in Riga, neben der Leiche aufgesammelt hatte.
Er ging durch die Waggons, gab niemandem den Weg frei, abgemagert, kantig, grimmig, angewidert. Kam bis zum Speisewagen, setzte sich ganz allein an den letzten Tisch, mit dem Rücken zu allen, um nichts zu sehen.
Eine halbe Stunde stocherte er mit der Gabel in den Rühreiern herum.
»Wieso esse ich Eier, Fleisch sollte ich fressen.«
»Geben Sie mir Fleisch«, sagte er der Kellnerin: »Schweinefleisch.«
Er ging zum Waggoneingang, um zu rauchen – er wollte nicht alleine dasitzen mit dem Rührei, das die Pocken überstanden hatte. Die Augen hätten es besser nicht gesehen.
Am Eingang trank er den Wodka aus, stellte die Flasche ungeschickt hin, sie fiel um. Sie rollte zur Seite und schepperte widerwärtig.
Er ging zurück in den Speisewagen, bestellte weitere hundert Gramm. Schaute aufmerksam die Karaffe an.
Das Fleisch wurde gebracht, saftig, heiß. Sascha aß gierig. Er wollte sich Wodka einschenken, aber der Waggon schaukelte so sehr, dass er nicht ins Glas traf. Die Kellnerin – Sascha sah sie aus den Augenwinkeln – war am Nachbartisch beschäftigt und sagte, sie werde gleich helfen.
»Ich mach das selbst«, antwortete Sascha und trank direkt aus der Karaffe. »Ich selbst«, wiederholte er heiser und sog mit der Nase die Luft ein.
… Folgendes war geschehen: Er war in Riga ins Hotel zurückgekehrt, sehr ruhig, aber mit fröhlichen Gedanken, die sich schließlich verhedderten: Was bedeutet das alles, weshalb ist es gerade so gekommen, wer waren diese Leute mit der Maschinenpistole? … und wie hieß der noch? … Arschgesicht.
Es war unmöglich, irgendetwas zu verstehen. Als würde ihm jemand Zeichen geben, die niemand enträtseln konnte.
Er hatte bis zum Abend im Hotel gelegen, ohne zu irgendeinem Ergebnis zu kommen, ohne etwas zu verstehen und von Stunde zu Stunde wurde er immer düsterer.
Am nächsten Tag fuhr er ab. Er ging zu Fuß zum Bahnhof, schaute voller Hass auf die Stadt, als hätte man ihm hier etwas weggenommen.
Manchmal schien es, als hätte er in sich einen Platz freigeräumt, ja, unter geradezu unerträglicher Wut regelrecht ausgebrannt. Und jetzt war an dieser Freistelle nichts mehr, sie klaffte weit auf.
Es fiel ihm nichts ein, woran er seine immer größer werdende Wut abreagieren hätte können.
Er zog einen Stadtplan heraus, zündete ihn mit dem Feuerzeug an. Zuerst hielt er den Plan mit zwei Fingern, als er dann lichterloh brannte, warf er ihn auf den Boden.
Die Passanten gafften – einige entrüstet, andere wandten sich ab und gingen rasch vorbei. Sascha stieß mit der Stiefelspitze nach dem Plan, er verbrannte vollständig …
… Und im Zug kämpfte er mit einer weiteren blödsinnigen Idee – auch noch den Vorhang am Fenster des Speisewagens anzuzünden.
Er trank den Wodka aus, spürte aber trotzdem nicht jene glückselige Trunkenheit, in der man zumindest in sanftem, kaum merklichem Dussel versinkt, ohne Übelkeit.
Er bestellte noch Bier und irgendeinen ausgedörrten Fraß dazu. Eine neue Kellnerin kam mit der Bestellung – nicht jene, die ihm Wodka und Fleisch gebracht hatte.
Sascha kaute den Happen angewidert zum Bier, trank in großen Schlucken. Eine Flasche Bier war zu wenig, er bestellte nach. Er wurde immer schwerer und wütender.
Er ging auf die Toilette, schwankte, und spürte sein Gesicht, ein fremdes wegen des Suffs, als wäre es aus
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