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Sankya

Sankya

Titel: Sankya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zakhar Prilepin
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offenen Autos – es gibt alles in so einem Übermaß, dass die Kraft nicht ausreicht, den ganzen Rummel in seine Bestandteile zu zerlegen. Du lebst in diesem Durcheinander, bist manchmal über plötzlich eintretende Stille verwundert. Und die ist trügerisch. Es brummt immer jemand in einem Winkel, wenn man genau hinhört.
    Und dann der Herbst … Im Herbst, es herbstelt, herbstlich …
    Feucht, glitschig, feucht, grau. Zuerst lärmen die Schüler, aber dann wird es immer öder und öder … Bis der Hausmeister mit der Schaufel auf dem Asphalt herumkratzt.
    Er trank noch einmal. Er hielt die Flasche vor die Augen, überlegte, und zog noch einmal, drei Mal, atemlos, in einem Schluck.
    Aus, fertig.
    Sascha schlief ein.
    Er lag bewegungslos, atmete schwer, die Stirn heiß, verschwitzt, eiskalte Fußsohlen, auch schweißnass.
    Einige Sekunden vor dem Aufwachen lief er, lief zum Richter, versuchte, ihn zu erreichen. Er kam nicht hin, es war alles sehr langsam.
    Nachdem er aufgewacht war, ging er in die Küche. Mama sitzt niedergedrückt da. Seine Flaschen stehen in einer Reihe, aus irgendeinem Grund alle drei. Sascha starrte sie eine Zeitlang an, die Augen wegen des Lichts zusammengekniffen. Schließlich kapierte er, dass die Mutter zu ihm ins Zimmer gekommen war, um zu kontrollieren, wie der Sohn schläft, sie hatte seinen Vorrat gefunden, alles mitgenommen.
    »Ich möchte was essen«, sagte er heiser.
    Eigentlich wollte er trinken.
    »Gibt es Kompott?«, fragte er. »Oder besser, Pökellake … Ja, eine Pökellake.«
    Er sog sich am Glas fest.
    »Hab ich einen Brand«, erklärte er.
    »Warum trinkst du?«, fragte die Mutter. »Du hast nicht getrunken, nie getrunken, und jetzt das … Möchtest du sein wie Papa?«
    »Mama, ich werde nicht mehr trinken, es ist aus«, kläffte Sascha heiser. Aus irgendeinem Grund schämte er sich nicht. Wohl deshalb, weil er ganz genau wusste: Er würde kein Säufer werden. Er hat was getrunken, na und?
    Er schwieg.
    Mama stellte ihm ein Omelett hin. Er aß gierig, verbrannte sich die Zunge. Er hatte ja den ganzen Tag nichts gegessen. Die ganze Zeit blickte er auf die dritte, nicht ausgetrunkene Flasche – nicht weil er etwa trinken wollte, er wunderte sich nur, dass sie schon so leer war. Er hatte doch nur zwei Mal daraus getrunken … Sollte er etwa im Schlaf zugegriffen haben? Etwas von der Art musste geschehen sein, offenbar schon. Ach, was für ein Jammer das mit mir ist …
    »Ich muss heute zur Schicht. Du wirst nicht mehr trinken?«, fragte die Mutter, als sie sich anzog.
    »Werde ich nicht, nein, ich tu das nicht«, und als Antwort auf ihr schwaches, mitleidiges Gemaule: »Geh, Mam, geh, ich tue es nicht, ich hab’s doch gesagt.«
    Er saß in der Küche, jung, stark, ganz und gar nicht verkatert. Vielleicht noch immer ein bisschen betrunken, ganz wenig. Er war noch nicht wieder ganz frisch, war aber nicht betrunken. Der Kopf war noch voller Nebel.
    Er ging ins Zimmer, legte sich mit offenen Augen aufs Bett.
    Das Telefon klingelte.
    »Möchte ich jemanden hören?«, fragte er sich. Er wollte keinen hören.
    Er ging in den Gang, zum Telefontischchen.
    »Hallo?«, fragte er mit Blick auf das lärmende Telefon, den Hörer nahm er dabei nicht ab. »Wer möchte uns? Wer braucht uns? Vielleicht ist das Jana? ›Entschuldige Sascha, du bist kein Dummkopf. Kauf mir eine Zitrone!‹ Vielleicht ist das Kostenko? ›Sascha, Sie sind betrunken. Bewahren Sie Haltung, Sascha.‹ Oder das ist Negativ … ›Sascha, ich sitze noch immer. Du hast dich beschissen für den Bruder gerächt, Sascha …‹«
    Das Klingeln verstummte.
    Er schaltete die Glotze ein, zappte von Kanal zu Kanal, wie ein Grashüpfer auf einer Müllhalde. Und plötzlich blieb er bei schwarz-weißen Bildern hängen, ein bärtiges Gesicht, er sah viele bewaffnete Menschen, Anka mit einem Maschinengewehr. »Tschapajew« , ja, so einen Film hatte es einmal gegeben.
    Sascha interessierte sich plötzlich, obwohl er den Film in der Kindheit viele Male gesehen hatte. Aber seit jener Zeit war »Tschapajew« wohl zehn Jahre lang nicht mehr gezeigt worden.
    Eigenartig befremdet, fast ohne auf das Geschehen zu achten, weil er sowieso wusste, was geschehen würde, schaute Sascha auf den Bildschirm.
    Der Film verzauberte ihn trotz aller Vorhersehbarkeit, Sascha konnte nicht verstehen, warum.
    Kaum merklich berührte er etwas im Inneren, unter der Magengrube, eine unbestimmte Ader begann leicht zu zittern.
    Er schaute gierig, sog jede

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