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Sankya

Sankya

Titel: Sankya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zakhar Prilepin
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Geste auf.
    Und als Tschapajew in der besten Szene des Films auf seinem Pferd dem Feind entgegenflog, mit wehender Burka, an der Spitze der Roten, wild, schön, mit gezogenen Säbeln, als Sascha das sah, heulte er plötzlich los, weinte vor Glück, rein und liebevoll, nicht mehr imstande, aufzuhören.
    »Herrgott, ja was ist los?«, fragte er sich. »Warum heule ich denn so?«
    Er schaute noch ein bisschen, bemühte sich ruhig zu werden, bisweilen lächelte er still vor sich hin. Er schaltete den Fernseher aus – Tschapaj wird dort noch getötet, wozu das ansehen, das Herz bleibt noch stehen, zum Teufel.
    Er schaltete den Wasserkocher ein.
    Er nahm eine Zigarette, ging ins Badezimmer, um zu rauchen, setzte sich dort auf den Boden, auf den Vorleger. Er hatte vergessen, das Licht einzuschalten – also rauchte er im Dunkeln.
    Es ist merkwürdig, in einem dunklen Raum zu rauchen, mit einem Lichtstreifen unter der Tür. Du und die Zigarette, die Finger, die sie halten, werden beleuchtet, wenn du einen Zug nimmst. Und die Augen schauen unablässig auf den Lichtstreifen – merkwürdig, dass der Mensch immer auf das Licht schaut, wenn rundherum Dunkelheit herrscht.
    Und die ganze Wohnung ist zu hören. Der Wasserkessel lärmt wie verrückt. Tagsüber hätte er niemals vermutet, dass er solchen Lärm machen kann. Regelrecht in Fahrt gerät der. Am Tag ist der Wasserkessel still, er dampft, ist nicht imstande, den Autolärm von draußen, das Gepolter der Nachbarn, das Gespräch im Treppenhaus, das Gebell zu übertönen. Aber jetzt, sieh da …
    Sascha zog sich an, nahm die Zigaretten, die Patronenhülse, und ging, nachdem er einige Augenblicke dagestanden, auf seine Schuhe geschaut und überlegt hatte, ob er auch nichts vergessen hatte, auf die Straße; die Tür ließ er leise zufallen.
    Auf dem Tisch dampfte der Tee in einer großen weißen Tasse – Sascha hatte ihn nicht getrunken.
    … Einige Stunden später kam Sascha zu Oleg, läutete an der Tür.
    Seinem klaren Gesicht nach zu schließen, hatte Oleg nicht geschlafen.
    »Komm rein«, sagte er, ohne irgendwie erstaunt zu sein.
    »Wer ist da, Oleg?«, fragte eine Frauenstimme aus dem Zimmer, seine Mama oder die Großmutter.
    »Schlaf weiter, es ist alles in Ordnung«, antwortete er nicht laut, aber deutlich.
    »Willst du nicht ein bisschen spazieren gehen?«, fragte Sascha.
    »Das will ich schon lange.«
    »Gehen wir. Ich warte auf der Straße.«
    Sascha wartete am Hauseingang, er hatte die halbe Zigarette noch nicht aufgeraucht, als Oleg erschien, schnell, schneidig, leichtfüßig.
    »Was, brauchst du jetzt ein Maschinengewehr?«, fragte Oleg ernst.
    Sascha schüttelte den Kopf.
    »War die Knarre nützlich?«
    Sascha dachte eine Sekunde nach und antwortete: »Alles in Ordnung. Sie war nützlich.«
    »Mir ist aber nichts zu Ohren gekommen. Der Premier ist am Leben, der Präsident ist am Leben. Die Minister leben.«
    »Es wurde uns einfach nicht mitgeteilt. Sie sind alle gestorben.«
    »Ach, so ist das«, lachte Oleg ungut.
    »Machen wir aus McDonald’s Kleinholz?«
    Jeder andere »Sojusnik« hätte gefragt: »Jetzt?« – oder »Wann?« – oder »Womit?« Oleg fragte nicht weiter nach.
    Sie gingen schnellen Schrittes, die Hände in den Jackentaschen, zwei schwarze Strickmützen, an Olegs noch eine alberne Quaste. Schon im letzten Winter hatte Sascha diese alberne Quaste an Oleg bemerkt, der Teufel weiß, wie er zu dieser schwarzen Mütze gekommen war. Oleg wirkte mit ihr noch bösartiger: ein brutales Kind, ein mutierter Spätentwickler – ungefähr so sah sein Schädel aus, von einer flauschigen Kugel auf dem Scheitel gekrönt.
    »Wir gehen in die falsche Richtung«, sagte Oleg.
    »Wir müssen zu Werotschka schauen.«
    »Die läuft doch viel zu langsam. Vielleicht lieber doch nicht?«
    »Könnte aber nützlich sein.«
    »Sieh selbst. Ich werde alleine laufen und nicht auf euch warten.«
    »Wie du willst.«
    Werotschka wohnte im Erdgeschoss einer vierstöckigen »Stalinka« . Sascha klopfte mit dem Finger an das niedrige, vergitterte Fenster. Bald tauchte Werotschkas Gesicht auf, verschlafen, aber nicht verängstigt.
    »Kommst du raus?«, fragte Sascha.
    Sie nickte kurz.
    Sie rauchten dann eineinhalb Zigaretten – der Geschwindigkeit nach zu schließen, in der Werotschkas Absätze durch das Treppenhaus klapperten, hatte sie sich beim Anziehen sehr beeilt.
    »Wera, ich müsste den Cocktail bei dir abholen«, sagte Sascha.
    Werotschka nickte rasch; sie hatte

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