Sankya
zu erraten, wer das aufgeschnitten hatte – Oleg oder Werotschka, und entschied, es musste Werotschka gewesen sein. Als da waren: Wenja, der einfach herumlümmelte, ordentlich sitzend – Oleg, dann der kleine und leise traurige Posik, zusammengerollt wie ein Hund.
Natürlich redete Wenja. Sascha wunderte sich, dass Oleg Wenja mittlerweile freundlich, ohne jeden Zorn, anschaute. Vielleicht, weil Wenja von Negativ erzählte, vielleicht auch aus einem anderen Grund.
Werotschka lag auf dem Bett, offensichtlich sehr müde, sie stand aber auf, als sie Sascha erblickte. Sie schaute ihn erfreut und ein wenig beunruhigt an.
»Hat sich Sorgen um mich gemacht«, vermutete Sascha, »warum ich allein dort am Platz zurückgeblieben bin …«
»Na, du bist vielleicht ein Hund«, gab Oleg zu, etwas betrunken, »deine Nerven sind offenbar in Ordnung. Was hast du den Bullen gesäuselt, ich hab’s nicht verstanden? Bei McDonald’s?«
Sascha winkte mit der Hand ab, grinste zufrieden, nicht der Rede wert.
»Nein, im Ernst«, Oleg gab nicht nach. »Und jetzt hast du doch wieder mit ihnen gesprochen?« Oleg lachte. »Hättest ihnen sagen sollen: ›Ich hab diese Rowdies wieder gesehen – sie sind diesmal dorthin gelaufen!‹?«
»Ja, ich hab mich köstlich amüsiert«, wieherte Wenja betrunken. »Ich dachte, du bist verrückt geworden – hast beschlossen, ein sofortiges Schuldbekenntnis abzulegen. Uns hat er alle im Treppenhaus eingesperrt und bei den Bullen angezündet … Sanja, aber so stellt sich heraus, du bist echt ein Irrer, noch schlimmer als ich …«
Oleg goss Sascha ein Glas Schnaps ein. Sascha nahm es aus Höflichkeit, obwohl er nicht trinken wollte. Er bat noch um ein Stück vom dünn geschnittenen Käse.
Werotschka hörte den Jungs zu und schaute mal auf sie, mal auf Sascha – voller Stolz, ja, geradezu begeistert.
»Jungs, ich gehe schlafen. Ich möchte schlafen«, sagte Sascha, er spürte Werotschkas unablässigen Blick. Er nickte ihr etwas zu wie »Gehen wir, Mädchen?«, und sie stand schon bereit, leicht und glücklich; kleine Kinderfüße auf dem dreckigen Bretterboden.
»Diese Zehen gehören mir«, dachte Sascha zärtlich.
Oleg schaute ihnen voller Neid nach.
Am Morgen trommelte Oleg wie besessen an die Tür und schaute, ohne eine Antwort abzuwarten, mit aufgeregter Visage hinein. »Er hat gehofft, Werotschka nackt zu sehen«, fuhr es Sascha durch den Kopf.
»Aufstehen, ihr Täubchen! Sie zeigen gerade Jana«, schrie er und verschwand sofort. Er wartete nicht einmal, ob Wera unter der Decke hervorkäme. Sie hatte tatsächlich nichts an.
Sascha sprang auf, zog die Hosen an, stürzte mit nacktem Oberkörper hinaus. Alle saßen beim Fernsehgerät, niemand schlief. Die Gesichter der Jungs sahen verstört aus. Einige Sekunden lang sah Sascha auf dem Bildschirm das Gesicht des Staatsoberhaupts – weiß der Teufel, womit er angeschmiert war; hilflos, wütend und zugleich erniedrigt. Etwas Weißes, Rotbraunes, Rotes floss das Jackett hinab, als wäre er von oben bis unten angekotzt worden. Der Präsident öffnete von Zeit zu Zeit den Mund und bewegte lautlos die Lippen, rang nach Luft. Irgendwelche Menschen tappten ängstlich neben ihm herum, einer mit einem Tuch, ein anderer mit einer Serviette – unentschlossen, was sie tun sollten.
»Eine junge Frau warf dem Präsidenten eine Plastiktüte an den Kopf, die vermutlich mit Tomatensaft, Mayonnaise, Ketchup, Sahne, zerkochten und kleingehackten Makkaroni und noch etwas, das einen heftigen und unangenehmen Geruch verbreitete, gefüllt war«, verkündete der Sprecher. Er schien sich das Grinsen nur mit Mühe zu verkneifen. Es handelte sich um einen langjährigen Bekannten von Kostenko, Sprecher des letzten unabhängigen Programms im russischen Fernsehen. Ein Intrigant und Millionär, der in tiefster Provinz in der Familie eines jüdischen Arztes und einer russischen Lehrerin aufgewachsen war, und der offenbar schon wusste, dass sein Programm bald eingestellt würde; er gebärdete sich regelrecht ungeniert.
Nur in diesem Programm hatte man in den letzten paar Jahren erfahren, dass es so etwas wie die »Sojusniki« überhaupt gab und Kostenko im Gefängnis saß. Jetzt wurde gezeigt, was man eigentlich nicht zeigen durfte.
»Jana Scharonowa wurden im Theatergebäude vor den Augen Dutzender Vertreter der kulturellen Öffentlichkeit schwere körperliche Verletzungen zugefügt. Unserem Korrespondenten ist es gelungen, eine Fußbodenplatte aufzunehmen,
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