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Sankya

Sankya

Titel: Sankya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zakhar Prilepin
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man hat bei euch den Eindruck, dass ihr euch nicht von den Dogmen dieser alten, unbrauchbaren Ideologie lösen könnt, die die ganze Geschichte der Rus beherrschte, angefangen bei … Wassili III oder Iwan dem Schrecklichen bis hin zu den Bolschewiki – und die nichts außer Blut und Chaos brachte.«
    »Woher kommt dann das ganze Land, wenn … nur Blut und Chaos …« »Chaos« pfiff es durch Saschas Zahnlücke.
    »Es wurde aus diesem Blut und diesem Chaos zusammengesetzt, das ist doch ganz offensichtlich, Sascha, und die Geschichte wiederholt sich alle hundert Jahre, sie bewegt sich im Kreis. Zuerst der blutige Frost, dann der Rotz des Tauwetters, dann das Chaos, dann der blutige Frost … Und so weiter …«
    »Also, dann soll es so sein, ist mir egal«, gab Sascha ehrlich zu.
    »Was heißt ›egal‹?« Ljowa wunderte sich aufrichtig. »Und wofür seid dann ihr gut? Was macht ihr? Wollt ihr wieder den blutigen Frost? Zum Beispiel – ganz konkret du, kannst du eure Idee formulieren?«
    Sascha zuckte mit den Achseln.
    »Verstehst du« – Ljowa konnte sich nicht beruhigen – »ich möchte bei den ›Sojusniki‹ eine futuristische Anthropologie sehen, aber ihr redet immer nur von der ›nationalen Zukunft‹, was allen zum Hals raushängt.«
    »Obwohl es gar keine Nation gibt«, entgegnete Sascha, der sich an Besletow erinnerte.
    »Sascha, Täubchen, das ist zu einfach gedacht«, sagte Ljowa, »ganz im Gegenteil, es gibt die Nation – nur lechzt sie nach Befreiung. Es ist gar nicht notwendig, eine neue Nation zu erfinden, nein. Und es ist auch nicht notwendig, das Land mit Fremden zu besiedeln. Und wir müssen uns selbst auch nicht in Reservate zurückziehen, um zu überleben. Wir haben schon ein Volk. Aber es ist nicht jenes, das sich dauernd an die Brust schlägt und »Russsssland« schreit. Die, die das schreien, sind im Grunde Fremde. Kostgänger. Das Volk – ist etwas anderes. Das »Neue-in-Vergessenheit-geratene-alte-Volk« würde ich es nennen. Verstehst du? Jene Leute, die friedlich säen und friedlich ackern und auf alle pfeifen – sowohl auf die ›Bodenständler‹ als auch auf die Kosmopoliten –, denn sie stören nur beim Ackern und beim Säen.
    »Und worin widerspricht dieses ›Neue-in-Vergessenheit-geratene-alte-Volk‹ der Idee der ›nationalen Zukunft‹, die dich so sehr nervt?«
    »Weil, Sascha, die Idee der ›nationalen Zukunft‹ euch von bösartigen und schmierigen ›Bodenständlern‹ untergeschoben wurde, und dem Wesen des Menschen widerspricht. Sie widerspricht der Evolution! Sie, diese Idee, setzt den ewigen Kreis fort – vom Blut zum Chaos, wovon ich dir schon erzählt habe.«
    »Und hast du eine andere Idee?«
    »Sascha, ich habe es dir schon so oft gesagt: Man muss aus diesem Kreis ausbrechen, die ›Slawophilen‹ genauso wie die ›Westler‹ wegschmeißen, und den ursprünglichen Zustand aushalten, ohne all diese Überlagerungen …«
    »Die die russische Geschichte in tausend Jahren angeschwemmt hat«, endete Saschka in Ljowas Tonfall, und wunderte sich zum hundertsten Mal über die ungute Häufigkeit des Buchstaben »s« in der russischen Sprache.
    »Das ist eine andere Frage, Sascha, was sie beigetragen hat. Sehr viel, um zu helfen, die Welt zu verstehen, aber sehr wenig, um in dieser Welt zu leben.«
    »Also, ich lebe ganz gut.«
    »Ja, wie man vor allem aus deinem blendenden Aussehen schließen darf.«
    »Nur lebe ich nicht in Russland. Ich versuche, es zurück zu bekommen. Man hat es mir weggenommen.«
    »Die einen Henker haben Russland den anderen Henkern abgenommen. Und es ist noch nicht bekannt, welche Henker die besseren sind. Die derzeitigen haben dich wenigstens am Leben gelassen.«
    »Das ist überhaupt eine unwichtige Frage – wer mich am Leben gelassen hätte«, begann Sascha sich aufzuregen. »Ich bin bereit, unter jeder Macht zu leben, wenn diese Macht die Integrität des Territoriums und die Fortpflanzungsfähigkeit der Bevölkerung gewährleistet. Die gegenwärtige Macht tut weder dies noch jenes. Das ist der ganze Unterschied.«
    »Ja, aber in diesem Land, ist das Blut immer maßlos in irren Strömen geflossen – Sascha, was redest du?« Ljowa breitete ratlos die Arme aus.
    »Ljowa, hören Sie auf«, – Sascha war plötzlich zum »Sie« übergegangen – »es ist immer geflossen und die Weiber haben geboren und geboren, und das Volk ist nie weniger geworden. Es hat akkurat für das ganze Land gereicht.« Sascha war selbst erstaunt, aus

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