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Sankya

Sankya

Titel: Sankya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zakhar Prilepin
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ein Entkommen war nicht mehr möglich.
    Vierzig Minuten vor Riga ging er zur Zugbegleiterin. Sprach mit ihr, stellte die vereinbarte Frage, sie nickte, ohne Sascha in die Augen zu schauen. Er kaufte einige Schokoladentafeln bei der Zugbegleiterin, eine Flasche Mineralwasser. Alles zusammen legte er sorgfältig in eine Tüte. Auf dem Boden der Tasche lag die Pistole in festes Papier gewickelt.
    Sascha steckte die Knarre in seine Hose. Er zog den Gürtel fest. Die Tüte mit Wasser und Schokolade unter den Arm geklemmt, ging er in seinem weiten Pullover durch die Waggons, rasch, energisch, aufmerksam, voller Wut.
    Ihm entgegen kamen, zur Seite ausweichend, Leute. Sie sprachen lettisch. Er lächelte allen Entgegenkommenden zu. Allerdings wurde nur selten zurückgelächelt.
    Sascha wäre bereit gewesen, jeden Beliebigen zu verprügeln und zu töten, weshalb sein Lächeln atemberaubend leicht wirkte. Es bewegte sich in seinem Gesicht hin und her, beinahe schwerelos.
    Im Abteil lächelte Sascha seinen Mitreisenden zu, sobald sie ihn anschauten. Er spürte plötzlich, dass ihm die Pistole zusätzliches – seelisches und auch körperliches – Gewicht verlieh, bis zur nötigen Schwere; so, dass die Beine jetzt fest waren und der Kopf gerade saß.
    Der Zug ruckte und die Bremsen quietschten. Sascha gefiel dieses Geräusch.
    »Wir sind angekommen.«
    Er ging durch den Bahnhof, konnte sich kaum zurückhalten, irgendeine Melodie zu pfeifen.
    Hier war es merklich wärmer als in Moskau.
    Er nahm ein Taxi, den Namen des Hotels sagte er auf Russisch.
    Der Taxifahrer, ein hellbärtiger Typ mit farblosen Augen, fuhr, ohne auch nur zu nicken, los. Sascha streckte die Beine aus. Ließ die Arme entspannt hängen, lockerte die Schultern.
    »Wäre interessant zu wissen, ob er Russisch versteht«, dachte Sascha grinsend.
    Das Mannsbild schnalzte im Minutentakt mit der Zunge. Sascha schaute in genervt an. Am liebsten hätte er den Typ an seinem wirren Haarschopf im Nacken gepackt, ihn nachdrücklich gebeten: »Schnalz nicht mit der Zunge«, und vorsorglich mit der Fresse gegen das Lenkrad gestoßen.
    »Na dann, machen wir uns mit Riga bekannt!«, beschloss Sascha feierlich und öffnete das Fenster – der Straßenlärm übertönte das penetrante Schnalzen.
    »Ich sehe die Brücke. Man könnte eine Melodie auf ihren Saiten spielen. Am anderen Ufer – eine Eiche. Eine angenehme und saubere Stadt. Hier gefällt’s mir.«
    Er schaute sich die Rigaer an, ihre Kleidung, fing ihre Blicke auf, einem Mädchen winkte er sogar zu. Es reagierte nicht darauf.
    Sie blieben direkt vor dem Hoteleingang stehen.
    Er steckte dem Fahrer einen Schein zu, ohne sich sicher zu sein, ob es reichte. Es reichte.
    Der Fahrer schnalzte zum Abschied noch einmal mit der Zunge und fuhr schweigend, ohne sich zu verabschieden, davon.
    Lächelnd betrat Sascha die Halle.
    »Guten Tag, ich komme aus Russland!«, sagte er zum Portier.
    Die Antwort war ein freundliches Lächeln.
    Im Zimmer warf er die Schuhe von sich und legte sich aufs Bett, streckte sich zufrieden aus. Auf dem Nachttischchen sah er einen Stadtführer und Werbeprospekte, er reckte sich; als würde es ihn interessieren, las er laut: »Also, was haben wir da für ein kulturelles Angebot?«
    Er betrachtete die Karte von Riga, las die Straßennamen, die nicht auf Russisch geschrieben waren, laut.
    »Fluss … Daugava. Schampetera Straße. Lubanas Straße … Irgendein Stipnieki … Beberbeki.«
    Bei Lidosta »Riga« war ein Flugzeug aufgezeichnet. »Vielleicht sollte ich ein kleines Flugzeug kapern und im Sturzflug auf das Haus des Richters runtergehen«, scherzte Sascha düster.
    Er fand die Straße, in der sich das Gerichtsgebäude befand. Und da war auch der Wohnort des Herrn Richter. In seinem Inneren begann es leicht zu zucken, doch es hörte gleich wieder auf. Er inspizierte aufmerksam die gewundene Straße, an der das Haus jenes Herrn lag, der Saschas Freunde für fünfzehn Jahre ins Gefängnis gebracht hatte. Plötzlich spürte er die Schwere der Waffe, die noch immer in der Hose unter dem Pullover steckte.
    »Wo soll ich die Knarre verstecken?«, überlegte Sascha. Im Hotelzimmer durfte er sie nicht aufbewahren, das Zimmermädchen würde sie finden. Er musste zu einem Park fahren und sie dort vergraben. »Wo haben wir denn hier einen Park?« Sascha drehte sich wieder zum Stadtplan um.
    Er wusch sich, rasierte seine spärlichen und unansehnlichen Borsten ab. Die Knarre steckte er in eine Plastiktüte.

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