Sankya
Boden, versteckte darunter die Pistole, legte Unterwäsche darüber, einige Bücher. Eine Karte für den Zug kaufte er nicht – er beschloss, mit der Elektritschka zu fahren, um nicht noch mal in der Datenbank aufzuscheinen. Es kam vor, dass der Geheimdienst die »Sojusniki« auf dem Weg nach Moskau herausfischte – vor allem, wenn in der Hauptstadt große Feierlichkeiten stattfanden und das »Zentrum« die Regionen beauftragte, die Bewegungen unzuverlässiger Personen zu beobachten – in erster Linie der »Sojusniki«.
Sascha stand am Bahnsteig, er fühlte die ungewöhnliche Schwere der Tasche – er hatte den Eindruck, jeder, der sie in die Hand bekam, müsste sofort kapieren, dass sich darin irgendetwas Sonderbares, Verbotenes befand.
Er wurde etwas nervös, als ihn jemand ansprach. Er zuckte zusammen, fing sich aber gleich wieder. Langsam wandte er sich um.
Besletow trat näher, er lächelte.
»Sascha, grüß dich! Du warst damals aber nicht beleidigt? Ich habe dich ja gesucht. Alles in Ordnung?«
Sascha konnte sich nicht sofort erinnern, dann antwortete er irgendetwas. Er sagte, er sei nicht beleidigt und alles in Ordnung.
»Ich habe meine Mama bei einem Besuch begleitet«, erzählte Besletow. »Sie ist zu ihrer Schwester gefahren. Ich habe noch Angst, im Winter mit dem Auto zu fahren.«
»Sie haben ein Auto gekauft?«, fragte Sascha, obwohl ihm Besletows Transportmittel natürlich scheißegal war.
»Ja, ja – ich habe jetzt auch eine andere Arbeit. Wir, Sascha, sind jetzt eure Klassenfeinde oder was es da bei euch sonst noch an Gegnern gibt«, sagte Besletow und grinste. »Ich arbeite jetzt dort.« Er deutete mit dem Kopf in Richtung Stadtzentrum.
Sascha nickte, als würde er verstehen, wovon die Rede war, verstand es allerdings nicht. Er beobachtete, wie seine Elektritschka einfuhr.
»Also, ich fahre dann«, sagte er.
»Auf jeden Fall ruf an, wenn du kommst! Bist du lange weg?«
»Ich weiß nicht«, antwortete Sascha, innerlich gereizt.
»Ruf an, melde dich. Ich möchte dich und auch deine Freunde mit einem interessanten Menschen bekanntmachen.«
Besletow blinzelte, und spürte, dass er zu Sascha tatsächlich freundschaftliche, ja fürsorgliche Gefühle hegte, was diesen nur umso mehr aufbrachte.
»Ja, ich ruf an«, antwortete Sascha, schüttelte Besletow rasch die Hand und schlüpfte in die Elektritschka.
»Das ist alles irgendwie absurd …«, dachte er. Aber er wollte jetzt nichts mehr ändern. Ja und es war auch nichts mehr zu ändern.
Kapitel 10
Er traf Matwej.
Sie umarmten sich.
Beide waren recht einsilbig.
»Hast du sie?«, fragte Matwej.
»Ich hab sie«, antwortete Sascha.
»Ist die Knarre brauchbar?«
»Sie tötet.«
»Wir geben sie unserer Zugbegleiterin. Die versteckt sie bei sich. Du bekommst sie dann in Riga.«
»Fahre ich etwa bis Riga?«
»Wohin denn sonst?«
»Die lassen mich doch nicht rein.«
»Wir haben einen getürkten Pass und ein Zugticket auf … den Namen des Passinhabers. Also hast du jetzt einen anderen Namen … Da, nimm ihn … Und merk dir, wie du heißt. Die Papiere sind in Ordnung«, fügte Matwej hinzu, als er Saschas einigermaßen beunruhigten Gesichtsausdruck bemerkte. »Was ist, wärst du lieber vom Zug abgesprungen? Zwischen den dir entgegenrasenden Masten?«
»Ich weiß nicht«, antwortete Sascha, dem bewusst wurde, wie natürlich Matwej beim Sprechen Partizipialkonstruktionen benützte. Denn »entgegenrasend« – das ist ja wohl ein Partizip …
»Außerdem wurde die Strecke ›Sankt Petersburg – Kaliningrad‹, die durch Lettland führte, auf Initiative der Lettländer eingestellt. Es gibt diesen Zug gar nicht mehr. Sie haben sich dadurch wahnsinnig geschadet. Jedenfalls haben wir sie ganz schön eingeschüchtert, damals, mit der Besetzung des Turms …«
Sie schlenderten durch Moskaus abendliche Straßen. Unzählige Menschen kamen ihnen eiligen Schritts entgegen. Sascha stellte sich vor, was wohl wäre, wenn sie wüssten, worüber diese beiden jungen Menschen sprachen, ob …
… ob sie dann – was?
»Ob sie sich wundern, vielleicht … sich umdrehen, und sich anschauen …«, überlegte Sascha weiter.
»Da ist die Adresse … des Objektes … hier – der Arbeitsplatz. Telefonnummern gibt es auch. Du hast auch eine Rückfahrkarte, aber da liegt die Entscheidung ganz bei dir. Je nachdem, wie es läuft … Man kann auch einfach so fahren … das ist offen.«
Es begann zu schneien. Die Flocken fielen senkrecht – es
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