Sankya
Die Tüte umwickelte er mit dem mitgebrachten Isolierband, damit keine Feuchtigkeit eindringen konnte. Er schob die Knarre unter die Achsel, den Stadtplan in die Hosentasche und machte sich zu einem Spaziergang in den nächstgelegenen Park auf.
Mit flinkem und klarem Blick schaute er umher, hielt auf der Straße nach Polizisten Ausschau. Er begegnete nur wenigen, dennoch wich Sascha ihnen geflissentlich aus – wenn es unauffällig und in aller Ruhe möglich war.
Die schmalen Gassen, die wie Liliputland wirkten, waren unglaublich schön. Verblüfft hörte er sich die Sprechenden an. »So viele Leute, und keiner spricht Russisch«, dachte er, »wie soll man da nicht durcheinander kommen?« Er war noch nie im Ausland gewesen.
Auf einem Fenstersims sah er eine Katze, streckte die Hand aus, um sie zu streicheln, dabei sagte er: »Kätzchen, mein Kätzchen«. Die Katze machte einen Buckel, fauchte. Sascha zog die Hand zurück, schimpfte – sogleich tauchte im Fenster ein mürrisches Frauengesicht auf.
Sascha stellte sich schon die Überschrift in der Lokalzeitung vor: »Russischer Tourist überfällt lettisches Kätzchen.«
Er kaufte ein Eis, leckte daran, lächelnd. So sah er aus, als er, dicht an dicht, mit einem Polizisten zusammenstieß; auch den grinste er an, und der zeigte ihm zur Antwort seine schönen Zähne.
Er schaute nochmal auf den Stadtplan und bemerkte, dass er schon in der Nähe war.
Die Bäume im Park standen still und feierlich da. Sascha berührte sie mit den Händen, nahm die Rinde mit den Fingern auf.
Es waren wenige Menschen im Park.
Sascha versuchte, nicht allzu hektisch zu sein, während er versuchte herauszufinden, wo er die Waffe am besten verstecken konnte. Eigentlich wollte er sie nicht mehr loswerden. Er hatte sich schon an sie gewöhnt.
»Und wenn sie irgendein blöder Hund findet?«, murmelte Sascha ängstlich vor sich hin. »Dann erwürge ich den Richter einfach«, gab er sich beinahe ernsthaft selbst die Antwort.
Er spazierte lang herum und kehrte dann zu einem guten und stillen Plätzchen zurück, wo auch ein großer Baum stand, der ihm gefiel.
Er bog vom ausgetretenen Weg ab. Eilig ging er tiefer in den Park hinein, versuchte, möglichst wenig Fußspuren im Schnee zu hinterlassen, bisweilen sprang er von einer offenen Stelle zur anderen.
Er hockte sich hin, berührte mit der Schulter die Rinde; mit kraftvollen Bewegungen buddelte er hektisch ein Loch, legte die Tüte hinein. Er warf Erde darauf, streute winzige und dürre Zweige darüber, stampfte alles mit ein paar Tritten fest, und ging zurück, unverhofft beschwingt. Anscheinend befand sich niemand in der Nähe. Und offensichtlich hatte ihn auch niemand gesehen.
Als er auf den Weg zurückkam, schaute er sich nach einigen auffälligen Bäumen um, er versuchte, sich die Stelle einzuprägen – um sich später nicht zu irren. Er zählte die Schritte bis zum Parkausgang. Er zählte – dreihundertdreiundzwanzig.
Er ging zurück, ohne sich zu verstecken. Als er auf Polizisten traf, hätte er sich eigentlich gewünscht, dass sie ihn anhielten und durchsuchten. Aber niemand dachte auch nur daran, Sascha festzuhalten.
Unterwegs ging er in ein Café – setzte sich an einen Tisch, rauchte, erwartete warum auch immer, dass ihm ein untertäniger Kellner die Speisekarte bringen würde; bestellen wollte er sowieso nichts. Sascha war auch in Russland fast nie in einem Café gewesen – dafür hatte er kein Geld.
Er beschloss, nur einen Tee zu trinken, und schon heute beim Richter vorbeizuschauen.
Nur das Haus und den Arbeitsplatz des Herrn zu besuchen … Luarkese? Lukresee? Verdammt noch mal, wieder vergessen.
Ein ruhiges Mädchen, das nicht lächelte, ihn aber fixiert hatte, trat an den Tisch. Sie reichte ihm die Speisekarte.
»Tee«, sagte Sascha, ohne die dunkle und massive Mappe mit den Speisen zu öffnen.
Sie fragte nach – auf Lettisch.
»Tee«, wiederholte er laut, als würde er mit einer Schwerhörigen reden. »Bloß Tee. Mit Zucker. Einen süßen Tee.«
Das Mädchen nickte.
Der Tee kam ohne Zitrone. Die Speisekarte nahm sie wieder mit.
Er rauchte zwei Zigaretten, schaute sich alle Besucher des Cafés an. Der Tee war gut. Draußen begannen ganz leicht schnelle, flaumige Schneeflocken zu fallen. Sie legten sich unmerklich auf die Pflastersteine.
»Wenn man Zuckerwatte isst, verschwindet sie genauso, ohne dass man es merkt«, erinnerte er sich an ein Gefühl aus der Kindheit.
Es war wieder alles ruhig und
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