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Sansibar Oder Der Letzte Grund

Sansibar Oder Der Letzte Grund

Titel: Sansibar Oder Der Letzte Grund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Andersch
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Knudsen. Es war kein Erkennungszeichen vereinbart worden. Brägevoldt hatte ihn nur beschrieben: grauer Anzug, jung, glatte schwarze Haare, ein bißchen unter mittelgroß, Fahrradklammern an den Hosen. Einer vom Jugendverband, dachte Knudsen, ich kenne die Typen. Sind keine Arbeiter, die Burschen, aber auch keine richtigen Intellektuellen. Sind einfach nur harte, trainierte Burschen. Ich wollte, die Partei schickte mal einen richtigen Arbeiter!
    ‘tschuldige, sagte er zu Gregor, ich war im letzten Moment aufgehalten.
    Macht nichts, sagte Gregor. Ich hab mich inzwischen ganz gut unterhalten.
    Hier in dem Gebetsschuppen? fragte Knudsen.
    Ja, erwiderte Gregor, mit dem da! Er deutete auf den jungen Mann, der las.
    War ja offenbar ein komischer Vogel, dachte Knudsen, dieser Instrukteur vom ZK. Er blickte gleichgültig auf die Holzplastik. Ob das die Figur war, die der Pfarrer meinte? Ausgeschlossen: der Pfarrer hatte etwas von einer heiligen Figur gesagt. An der da war gar nichts Heiliges!
    Du bist vom Jugendverband, Genosse? fragte er Gregor.
    Gregor nickte. Er ist eigentlich schon etwas zu alt für den Jugendverband, dachte Knudsen, einer von denen, die vom Jugendverband nicht loskommen. Für solche war die Partei das Alte.
    Ein Treff in einer Kirche ist eine gute Idee, sagte Gregor. Darauf sind sie noch nirgends gekommen. Er wollte etwas Freundliches sagen, denn er spürte Knudsens beobachtende Härte.
    Hast du mir viel zu erzählen? fragte Knudsen. Oder können wir es gleich hier abmachen? Ich will schnell wieder weg, dachte er. Ich hätte überhaupt nicht hierher kommen sollen. Was hat es für einen Zweck, alles aufs Spiel zu setzen, nur um sich mit diesem jungen Kerl zu unterhalten. Ich könnte jetzt auf See sein. Er hörte auf einmal das Tuckern seines Bootsmotors und das zischende Geräusch des Wassers am Bug.
    Die Kirche wird noch eine halbe Stunde auf sein, sagte Gregor. Das reicht.
    Sie ließen sich in eine Kirchenbank nieder, in dem Teil der Kirche, wo es am dunkelsten war, und Gregor setzte Knudsen das neue Fünfergruppensystem auseinander. Überall wird die Partei in Gruppen zu fünf Mitgliedern aufgeteilt, die nichts voneinander wissen, erklärte er. Die Gruppen sind vollkommen selbständig und unterstehen direkt dem ZK. Nur das ZK kennt die Namen der Gruppenleiter. Auf diese
    Weise können die Anderen nicht mehr die ganzen Parteiappa- rate in einer Stadt lahmlegen, wenn sie ein paar leitende Ge- nossen verhaften.
    Das ist nur scheinbar eine Aufteilung, sagte Knudsen. In
    Wirklichkeit ist es eine Zentralisierung. Wenn das ZK hoch- geht, ist die ganze Partei im Eimer. Er dachte: die Partei ist so- wieso im Eimer.
    Das ZK geht nicht hoch, sagte Gregor. Er wußte, daß er da- mit Knudsen nicht überzeugte. Die Genossen waren überall
    darüber hinaus, sich von einfachen Behauptungen überzeu- gen zu lassen.
    Aber Knudsen ging auf die Behauptungen gar nicht ein. Bloß keine langen Auseinandersetzungen, dachte er. Übrigens fühlte er sich nicht wohl in der Kirche. Wenn mich einer gesehen hat, wie ich in die Kirche ging, dann redet bald die ganze Stadt darüber, dachte er. Der Knudsen, der rote Hund, war in der Kirche, werden sie sagen. Das wird die Anderen aufmerksam machen. Da stimmt irgend etwas nicht, werden sie sagen, der Knudsen wird wieder aktiv.
    Er wollte die Pfeife aus seiner Joppe hervorkramen, aber
    dann besann er sich, wo er war, und ließ sie in der Tasche.
    Hier in Rerik wird es keine Fünfergruppe geben, sagte er zu
    Gregor. Noch nicht einmal eine Zweiergruppe.
    Du meinst, daß du hier allein bist?
    Knudsen nickte. Er grinste düster, ohne Gregor anzu- blicken.
    Gregor blickte auf Knudsens Profil und dann wieder gera- deaus, in die Richtung des Hochalters. Da vorn saß der junge
    Mann und las immer noch ungerührt in seinem Buch. Vor ei- niger Zeit hätte Gregor noch von Aktivierung der Parteiarbeit
    geredet. Jetzt sagte er nur: Was sollen wir da machen? Kannst
    du mir wenigstens eine Deckadresse mitgeben, an die wir dir
    Material schicken können?
    Knudsen schüttelte den Kopf. Ihr solltet uns in Ruhe las- sen, sagte er. Können wir nicht einfach Genossen bleiben, ohne etwas tun zu müssen?
    Wieder blickte Gregor auf Knudsens Gesicht, aber zum erstenmal nun wirklich aufmerksam. Im Dämmerlicht der Kirche, in der die Schatten zunahmen, war es nicht mehr sehr genau zu erkennen, aber Gregor konnte sehen, daß es hart und flächig war, die Nase stach nicht besonders hervor, es war ein braunes,

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