Sansibar Oder Der Letzte Grund
oder wie das flüchtige, Tempo verratende Gesicht eines Fliegers, auf jeden Fall aber war es ein unauffälliges Gesicht, ein Gesicht, das sich nicht gerne zeigte, weil es in irgendwelche Arbeiten vertieft war.
Sie ging ein paar Schritte auf und ab, um sich zu erwärmen, aber sie gab diesen Versuch fröstelnd auf. Ich möchte wissen, fragte sie, warum Sie die Absicht haben, mir zu helfen? Denn das haben Sie doch vor, nicht wahr? fügte sie hinzu.
Sie haben Glück, sagte Gregor, heute nacht fährt ein Boot nach Schweden. - Mit dem da! Er wies auf die Statue. Stellen Sie sich gut mit ihm, dann nimmt er Sie vielleicht mit.
Verwundert näherte Judith sich der Figur. Ich verstehe nicht, sagte sie. Sie hatte die Statue bisher nicht beachtet, nun trat sie auf sie zu und versuchte, sie zu erkennen.
Er soll morgen früh von den Anderen konfisziert werden, erklärte Gregor.
Er? sagte Judith zweifelnd.
Ja. Er ist ein junger Mann, der liest. Schauen Sie sich ihn nur an!
Judith mußte sich ein wenig herabbeugen, um das Bildwerk betrachten zu können, aber sie war genötigt, ihre Hände zu Hilfe zu nehmen, damit sie der Form gewahr wurde. Sie spürte das Holz glatt unter ihren tastenden Händen. Nachdem sie das Gesicht befühlt hatte, stieß sie einen Ruf des Erstaunens aus und nannte den Namen des Bildhauers, der die Statue gemacht hatte. Gregor erinnerte sich dunkel, den Namen schon einmal gehört zu haben. Natürlich, dachte er, in ihren Kreisen kennt man solche Namen. In ihren Kreisen haben solche Namen wahrscheinlich einen bestimmten Preis - und deshalb kennt man sie.
Und in der Tat hörte er sie sagen: Das ist eine sehr wertvolle Plastik.
So wertvoll, bemerkte er spöttisch, daß Sie die Chance haben, von diesem Burschen aus Holz mitgenommen zu werden. Als Draufgabe sozusagen. Er ist uns nämlich wichtiger als Sie.
Wen meinen Sie mit uns? fragte sie.
Den Pfarrer dieser Kirche und mich, erwiderte er. Er sah auf das Leuchtblatt seiner Armbanduhr und sagte: Der Pfarrer wird in einer Viertelstunde kommen; dann montieren wir die Figur ab und bringen sie zu einem Boot, das heute nacht nach Schweden fährt.
Und ich? fragte sie gespannt.
Sie können mit mir kommen. Wenn Sie Glück haben, nimmt der Fischer, dem das Boot gehört, Sie mit nach drüben.
Er hörte, daß sie einen Seufzer der Erleichterung ausstieß.
Nein, sagte er, freuen Sie sich nicht zu früh! Knudsen ist ein schwieriger Mann. Es ist nicht sicher, daß er Sie mitnimmt. Und außerdem ist das Ganze eine ziemlich gefährliche Sache.
Sie richtete sich auf und wandte sich ihm zu. Er sah ihren Trenchcoat, der heller war als ihr Gesicht, dicht vor sich, ihre Haare flatterten jetzt nicht, sondern rannen nur still auf ihre Schultern hinab, sie stand in einer Entfernung von ihm, in der er ihr Gesicht noch als eine Einheit wahrnehmen konnte, eine verwöhnte und wilde Komposition aus Augen, Nase, Lippen und Backenknochen, alles noch weich und unerfahren, zu Verwandlungen fähig, und er hörte sie fragen: Sie würden mir also nicht helfen, wenn Sie nicht gerade dieser Figur zu helfen hätten?
Sie standen sich gegenüber, sehr nah, und Gregor dachte: Es ist eine Verführungsszene, sie ist ziemlich hübsch und sie weiß es, und ich habe mich schon sehr lange um keine Frau mehr gekümmert. Es wäre jetzt leicht, die Arme um sie zu legen, und es wäre auch sehr schön, und schließlich wird es sogar erwartet, sie hat einen todsicheren Instinkt, sie weiß, daß ein Mann erst dann schützt, wenn er liebt, und daß eine Frau ihr Leben nur zusammen mit ihrem Körper dem Schutz ausliefern darf - es ist eine Beleidigung des Instinkts, den Dank des Fleisches nicht anzunehmen, das Opfer der Hingabe für die Tat des Gehirns auszuschlagen.
Aber ich, überlegte er, ich bin nicht instinktsicher, ich bin kalt, ich weiß das alles, mein Gehirn funktioniert zu gut, und ich wehre mich gegen diese Funktion des Fleisches. Ich nehme mir manchmal eine Frau, aber seit Jahren schon lehne ich es ab eine zu lieben, mein Gehirn in der Magie eines geliebten Gesichts auch nur für Bruchteile von Sekunden aufzulösen, mit meinem Mund einen Hals zu suchen, als biete er die Erlösung von allem Übel. Ein einziger wirklicher Kuß würde mein Gehirn schwächen, das ich brauche, um den Anderen gewachsen zu sein. Illegalität und Liebe schließen sich aus. Kuriere sind Mönche, dachte Gregor, und: kein Boxer darf vor einem Kampf mit einer Frau schlafen. Vielleicht ist Franziska nur verhaftet worden,
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