Sansibar Oder Der Letzte Grund
an.
Der Sockel, auf dem die Figur steht, ist hohl, erklärte Heiander. Auf der Innenseite werden Sie drei Schrauben finden, die die Figur mit dem Sockel verbinden.
Das nicht sehr große Bildwerk und sein Sockel erwiesen sich doch als ziemlich schwer. Gregor wies das Mädchen an, die Figur so weit unten wie möglich festzuhalten, ehe er vorsichtig begann, den Sockel zu kippen. Als er ihn so schräg gestellt hatte, daß er nicht mehr in seine Ausgangslage zurückgleiten konnte, sprang er Judith bei, und zusammen ließen sie die Plastik in die Horizontale hinab, bis der Sockel mit einer seiner Längsseiten auf dem Boden lag. Die Arbeit gelang ihnen fast lautlos, der dumpfe Glockenton, mit dem der schwere Bronzesockel auf die Kirchenfliesen gelangte, war so leise wie vielleicht der vereinzelte Schritt eines Besuchers, der bei Tag die Kirche betrat.
Auch die übrige Arbeit ging glatt vonstatten. Gregor leuchtete mit der Taschenlampe des Pfarrers in den Sockel hinein, wobei er darauf achtete, daß so wenig Lichtschein wie möglich nach außen fiel, und sah sofort die drei Schrauben. Sie leisteten der Arbeit des Schraubenziehers nicht mehr als den üblichen Widerstand. Ehe Gregor die letzte Schraube herauszog, wies er Judith an, die Figur festzuhalten; als er sich erhob und aufblickte, sah er das Mädchen auf dem Boden knien, die aufgefangene Figur in den Armen, als trüge sie eine Puppe oder ein Kind. Er breitete rasch die Decke auf dem Boden aus, nahm Judith das Bildwerk ab und wickelte es sorgfältig ein. Helander reichte ihm einige Riemen, mit denen er das Bündel festschnürte. Es wog nicht schwer, stellte er fest, das Hauptgewicht hatte der Sockel gehabt. Würden Sie so freundlich sein und den Sockel wieder aufrichten, sagte der Pfarrer.
Richtig, dachte Gregor, das war notwendig, vielleicht hatte der Pfarrer die Absicht, den Anderen zu erzählen, die Figur sei schon seit längerer Zeit entfernt worden. Es mußte alles so ordentlich wie möglich aussehen. Es gelang ihm, den Sockel allein aufzurichten und ihn wieder dorthin zu schieben, wo er gestanden hatte. Die drei Schrauben schob er vorher darunter.
Es blieb nichts mehr zu tun. Lassen Sie mich Ihnen wieder bis zur Tür helfen, sagte Gregor zu Helander.
Nein, danke, sagte der Pfarrer, ich möchte noch ein wenig hier sitzenbleiben.
Wie Sie wollen, sagte Gregor, aber Sie werden sich erkälten.
Ich habe eine andere Bitte an Sie, sagte der Pfarrer, ich möchte noch ein Vaterunser sprechen, für Sie und für dieses junge Mädchen und natürlich auch für die Figur. Nein, sagte Gregor sehr schnell, ich weiß nicht mehr, wie lange ein Vaterunser dauert, und wir haben es nun sehr eilig.
Es dauert nicht länger als eine Minute, sagte der Pfarrer.
Nein, erwiderte Gregor.
Der Pfarrer machte eine zornige Bewegung, aber er bezwang sich. Kommen Sie zu mir her, sagte er zu Judith. Sie näherte sich ihm zögernd. Beugen Sie sich ein wenig zu mir herab, sagte Helander flüsternd, als solle Gregor es nicht hören. Sie gehorchte ihm, und er machte das Kreuzzeichen auf ihrer Stirn.
Er sah den beiden nach, als sie die Kirche verließen. Sie gingen schnell und entschlossen davon, mit Schritten, die sich an die Finsternis gewöhnt hatten. Auch des Pfarrers Augen hatten sich mittlerweile an das Dunkel gewöhnt, sie blickten statt in Schwärze in ein gleichmäßiges Grau, in das Grau einer Kirche, deren junge Seele soeben entflohen war. Helander starrte auf den leeren Sockel. Dann sprach er lautlos das Vaterunser.
Der Junge
Er spürte, wie Knudsen den Kutter einen Augenblick lang rückwärts laufen ließ und dann die Kupplung herausriß. Das Boot fuhr nicht mehr. Es schwoite ziemlich stark in den Böen, die der Junge spürte, als er auf Deck kam. Er ging nach hinten und holte das Beiboot heran und sprang hinein. Knudsen reichte ihm die beiden Ruderpaare nach und warf ihm die Vorleine zu. Hast Gegenwind, sagte er zu dem Jungen, wird ‘n Stück Arbeit werden für dich. Der Junge sah ihn weiterfahren, während er sich gegen den Wind aus dem Fahrwasser rausarbeitete. Es war eine saumäßige Arbeit, das Boot gegen den Wind über das Haff zu kriegen, aber der Junge arbeitete gleichmäßig und verbissen. Wenn wir den Passagier an Bord kriegen, dachte er, dann fahren wir über die See, und das ist die Chance für mich. Nie hätt ich gedacht, daß ich mal ‘ne Chance kriegen würde.
Jetzt, da er die Chance spürte, dachte er übrigens nicht mehr an die Gründe, warum er weg wollte.
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