Sanssouci
die Männer es liebten.
Sie hielt sich aber nicht lange mit alldem auf, sondern begann, ihr Gebiß zu untersuchen. Merle Johansson hatte einen abgrundtiefen Ekel davor, wenn ihre Zähne nicht hundertprozentig von allen Verunreinigungen gesäubert waren. Abends setzte sie sich, mit ihrem Oberteil bekleidet, auf die Holzkommode gegenüber dem Badezimmerspiegel, stellte ihre Füße auf das Waschbecken und putzte sich mit langsamen, ausführlichen, gründlichen Bewegungen die Zähne, und es gefiel ihr, daß sie sich auf diese Weise so lange sehen konnte. Sie sah sich gern so. Es gefiel ihr, weil es anderen gefiel, die aber gottseidank nicht zugegen waren, denn Merle Johansson war zwar oft gern mit jemandem zusammen, aber noch lieber war sie allein, und Situationen wie jetzt im Badezimmer waren in Gegenwart eines Mannes nicht möglich. Man hatte dann keine Ruhe, wenn man so dasaß.
Trotz dem ausführlichen Zähneputzen am Vorabend nahm sie nun den kleinen, fünfstufigen Borstenreiniger (jede Stufe für eine unterschiedliche Zahnzwischenraumgröße) und begann, alle Zahnzwischenräume ausführlich und bedächtig zu säubern. Merle Johansson machtediese Zahnreinigung oft am Morgen. Sie spürte, das hier war ein schöner Morgen, und überhaupt war das Leben auf diese Weise schön. Wenn sie aber an der betreffenden Borstenbürste roch und dort irgendeinen Rückstand ausmachte, dann verzog sie ihre Miene und fand sich abgrundtief verdorben. Wenn ein Mensch ein Tier biß, konnte das Tier daran sterben, das wußte Merle Johansson (es wurde in den vegetarischen Kreisen gesagt). Menschen, die Fleisch aßen, trugen die Verwesung in sich. Niemals würde sie sich auf diese Weise beschmutzen. Unvorstellbar.
Das nächste war, zu ihrem Sohn Jesus hinüberzugehen. Merle Johansson hockte sich neben das Holzgitterbettchen, in dem er schlief. Sie hockte dort eine ganze Weile und hauchte ein paarmal Jesus , leise und sanft, aber ihr Sohn, der seinen Daumen im Mund hatte, wachte davon nicht auf. Merle wiegte in diesen Minuten ihren Kopf hin und her.
Nach ein paar Minuten berührte sie ihren Sohn an den Schultern, woraufhin der ein schmatzendes Geräusch machte, aber immer noch nicht aufwachte. Vorsichtig schlug sie die Decke beiseite, öffnete seine Windel, zog sie aus und betrachtete eine Weile wie verliebt die Morgenerektion ihres Sohnes. Nach zwei, drei Minuten intensivierte sie ihre Bemühungen, und Jesus kam langsam, zögernd und träge zu sich.
Merle Johansson begrüßte Jesus Johansson mit einem Singsang, der sehr zärtlich und melodiös war und aus Kindersprache bestand (Merle sprach am liebsten Kindersprache, deshalb war sie so gern mit Kindernzusammen). Man kann nicht sagen, daß sie ihren Sohn dabei unterstützte, aufzustehen … sie hatte auch eigentlich kein größeres Interesse daran … sie fand es ja eigentlich blöd, daß er in den Kindergarten mußte … andererseits fand sie es auch wieder gut … es hatte seine Vor- und Nachteile … es war schön, mit ihm zusammenzusein … andererseits konnte man einige Sachen nicht oder nicht so gut machen, wenn er da war … einige Sachen konnte man nur allein machen …
Jesus schlief über alldem wie jeden Morgen wieder ein. Inzwischen war es acht Uhr. Merle Johansson tat nun etwas, was sie ebenfalls jeden Morgen gern tat und worauf sie sich so freute, daß sie es immer gern hinauszögerte. Sie ging ins Bad, klappte den Holzdeckel auf und setzte sich. Das war jetzt viel schöner als direkt nach dem Aufwachen, aufgrund des Herauszögerungseffektes. An solchen einfachen Dingen konnte sich Merle Johansson erfreuen. Manchmal blieb sie länger sitzen, löste ein Kreuzworträtsel, und dann summte sie.
Nach etwa einer halben Stunde hatte sie ihren Sohn einigermaßen wach bzw. er sich. Sie zog ihn an, das dauerte längere Zeit, denn er war wie immer einigermaßen widerspenstig, und Merle Johansson hatte keinerlei Eile damit.
Mit ihrem Sohn anschließend zum Pipimachen aufs Klo zu gehen war ihr ebenfalls eine Freude, sie betrachtete es mit Begeisterung und half ihm immer dabei, egal ob es nötig war oder nicht (in diesen Kategorien dachte Merle Johansson nicht).
…
Wenn wir nun die nächste halbe Stunde an diesem Tag überspringen, sitzen wir mit Merle Johansson und ihrem Sohn Jesus am runden Holztisch in der Küche der von ihrem Vater gemieteten Wohnung.
Hierbei muß gesagt werden, daß es Merle Johansson immer unglaublich ärgerte, wenn sie aus dem Fenster in den Garten
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