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Sanssouci

Sanssouci

Titel: Sanssouci Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Maier
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Hallen. Anastasia fand es in den Gängen unheimlich.
    Die Mädchen hielten sich die meiste Zeit im sogenannten Atelier auf. Das Atelier hatten sie schon vor einigen Wochen entdeckt. Hinter dem Botanischen Institut befand sich mitten im Gestrüpp ein lichter Saal mit zwei Nebenkammern, den Anastasia von außen kannte, ohne ihm früher weiter Aufmerksamkeit geschenkt zu haben. Es handelte sich um ein von meterhohen Fenstern durchbrochenes Gemäuer, das teilweise eingestürzt und von Efeu überwuchert war, so daß es jedem (auch der Gartenverwaltung) völlig unzugänglich erschien. Das Gebäude gehörte zu den aufgegebenen Teilen des Parks. Von außen war es nicht zu erreichen, die Mädchen betraten es durch das Labyrinth. Der Name Atelier hatte sich unter ihnen eingebürgert, weil dort anfänglich Aisches Bruder Fotos von seiner Schwester gemacht hatte. In dem großen,geheimnisumwitterten Saal saßen die Mädchen auf Decken und Kissen oder auf der Platte eines alten, stehengebliebenen Tischs herum, vertrieben sich die Zeit, sprachen über dies und das und betrachteten stundenlang das Spiel des Lichts im Efeu und auf den Wänden des Saals. Sie genossen es, draußen ganz in der Nähe die Touristenströme zu wissen, selbst aber nicht entdeckt werden zu können. Maja hielt das Atelier für außerordentlich inspirierend. Manchmal erkundeten sie die Gänge, manchmal entschwand Maja mit Nils für längere Zeit in ihnen, manchmal machten Aische und ihr Bruder Expeditionen auf der Suche nach Dritte-Reich-Luftschutzräumen mit entsprechenden Accessoires. Dann hatten sie Lichtreflektoren und andere Ausrüstung im Gepäck.
    Es waren die Tage vor den großen Sommerferien. Sie vergingen langsam, Potsdam, Sanssouci, das Atelier, bisweilen auch die Stunden im Kotz, im Hafthorn, im Fajngold, es war wie ein großes Idyll. Alles war neu, voller Abenteuer und Liebe, etwa wenn sie nachts um elf am Schloß Charlottenhof verabredet waren und Maja und Nils, Arm in Arm, langsam angeschlendert kamen, im Licht der Laternen, beim Gesang der Nachtigallen … oder wenn sie sich tagsüber Echos zusprachen auf den Echobänken an der Großen Fontäne (manchmal waren Jungs dabei, mit denen Anastasia Echos tauschte) … oder wenn sie im Atelier über Gott und die Welt sprachen, wobei letztere wie eine Verheißung vor ihnen lag. Nur weniges störte für Anastasia das Idyll. Etwa die Anwesenheit Heike Meurers. Nie sah man sie mit anderen Jungs, immer nur mit ihrem Bruder. Ihr Bruder hatte unzählige Narbenam Arm. Darüber sprach aber niemand. Alle taten so, als existierten sie nicht. Oder waren sie noch nie jemandem aufgefallen? Wenn sich Heike und Arnold einen Kuß gaben, sah es genauso aus, wie wenn Nils und Maja sich küßten. Von alldem mußte sich Anastasia jedesmal reinigen, bevor sie auf den Kapellenberg ging.
    Was weiter störte: Grigorij. Er war oft im Park und beobachtete die Mädchengruppe, streunte um die Büsche und Hecken hinter den Echobänken, blieb manchmal stehen und lief hin und wieder sogar mitten durch die Gruppe hindurch. Er roch sehr unangenehm. Grigorij trieb sich meistens in der Nähe der Neuen Kammern herum. Einmal waren sie im Atelier, da stand er plötzlich vor einer Fensterscheibe und glotzte herein. Er blieb dort fast eine Stunde stehen, aber die Mädchen, die anfänglich schockiert waren, gewöhnten sich nach einer Weile an die Erscheinung vor dem Fenster und begannen sie sogar zu necken. Grigorij tauchte später nie mehr in der Nähe des Ateliers auf. Wie er durchs Dickicht gekommen war, war ihnen unbegreiflich.
    Am Tag vor den Ferien kam es zu einem Ereignis, das Anastasia beunruhigte, nur konnte sie leider mit niemandem darüber sprechen. Sie hatte sich am Nachmittag Nils und Maja angeschlossen, die unter Zuhilfenahme von Taschenlampen tiefer in das Labyrinth vorstoßen wollten. Am Anfang der Erkundung war alles noch lustig, aber mit der Zeit wurde Anastasia in den Gängen immer mulmiger zumute, zumal sie sich noch nie so weit ins Innere des Gangsystems vorgewagt hatte: sie war bislang immer in der Nähe des Ateliers geblieben. Aberjetzt liefen sie schon fast einen Kilometer, allein hätte sie niemals wieder hinausgefunden, nach überall gingen Kammern, Türen, Räume und Gänge. Manche Gänge waren verschlossen, manche nicht. Hin und wieder gab es schwere, numerierte Metalltüren, die nur von einer Seite geöffnet werden konnten. Wer dahinter eingesperrt wurde, mußte unweigerlich sein Ende finden. Manchmal war

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