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Sanssouci

Sanssouci

Titel: Sanssouci Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Maier
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elektrisches Licht vorhanden, meist mußten sie Taschenlampen benutzen. Nach einer halben Stunde in den unterirdischen Schächten wollte Maja plötzlich mit Nils unbedingt für einige Minuten allein sein, und in diesen Minuten, während Maja und Nils nach irgendwohin verschwanden, ereigneten sich so seltsame Dinge, daß Anastasia das Labyrinth anschließend nie mehr betrat.
    Sie befand sich in einem breiten, etwa zwei Meter hohen Gang, in dem allerlei Gartengeräte herumstanden, es gab dort auch wieder eine dieser schweren Eisentüren. Die Eisentür stand offen, man hatte mit roter und weißer Farbe ein X auf sie gemalt, wie ein Andreaskreuz. Der Gang war durch mehrere Leuchten erhellt, an den Wänden blätterte der Anstrich ab … Anastasia hörte ein Geräusch und dachte, Maja und Nils kämen zurück, aber dann sah sie einen unbekannten Mann am vorderen Ende des Gangs vorbeilaufen. Sie zog sich hinter einen Verschlag zurück, ohne einen Laut von sich zu geben. Nach einer Minute kam der Mann zurück, plötzlich war auch Arnold Meurer zu sehen, beide verschwanden in einem Nebengang.
    Es dauerte eine Weile, dann löste sich Anastasia aus ihrer Haltung. Kaum aber wollte sie hinter dem Verschlaghervorkommen, da erschien der rote Grigorij im Rahmen der Eisentür mit dem Andreaskreuz und lief genau an ihr vorbei. Anastasia preßte sich an die Wand. Grigorij war keinen Meter von ihr entfernt, sie konnte ihn atmen hören, sie sah jedes seiner Barthaare … aber er nahm sie augenscheinlich nicht wahr, sondern starrte nur stracks geradeaus. Er machte genau denselben abwesenden Eindruck wie sonst auch. Grigorij lief den Gang entlang und bog um die Ecke. Anastasia war wie zu Eis erstarrt.
    Aber der verstörendste Moment folgte noch, und er war auch der Grund, warum Anastasia zu den Mädchen und Nils kein Wort über all das sagen konnte. Anastasia trat nämlich durch die Eisentür, aus der Grigorij herausgekommen war, und lief in den folgenden Gang. Was sie antrieb, wußte sie selbst nicht. Die rot-weiß markierte Tür war durch eine Eisenkette mit Vorhängeschloß an der Wand festgemacht, so daß sie nicht zufallen konnte. Nach ein paar Abzweigungen entdeckte Anastasia einen Raum, der wie eine kleine Kapelle aussah. Die Einrichtung der Kapelle war notdürftig zusammengestückelt. Zum Beispiel gab es keine Bank … es gab nur ein Gestell, auf das man sich knien konnte, mit einem Armbänkchen, um dort die Ellbogen beim Beten aufzustützen. Es gab Kerzen, eine Altarnische, an der Wand hing ein Kruzifix. In der Altarnische standen zwei Bilder, vor den Bildern waren zwei Lämpchen aufgestellt … sie brannten sogar. Der Raum roch nach Grigorij. Ein Gesangbuch lag da, die erste Seite aufgeschlagen, dort stand in kyrillischen Lettern Gesangbuch von Grigorij geschrieben. Als Anastasia die Bilder in der Altarnische betrachtete, begannes sich in ihrem Kopf zu drehen. Das eine Bild zeigte eine farbige Kopie der berühmten Madonna von Smolensk, das andere Bild war eine Fotografie und zeigte Heike Meurer fast nackt. Heike lächelte in die Kamera.
    Es war das Foto, das Alexej vor über einer Woche in der Küche in Grigorijs Haus gesehen hatte. Sie hatten es aus Grigorijs Zimmer gestohlen, aber der Bulgare hatte es sich zurückgeholt. Grigorij hatte das Bild, das er seit drei Wochen anbetete und mit Küssen überhäufte (er wußte nicht anders mit ihm umzugehen), erst eine halbe Stunde zuvor in seine kleine Kapelle gebracht, nachdem er am Vortag den in die Wand gehauenen Altar für Heike und die Smolensker Madonna fertiggestellt hatte.
    Anastasia lief zur Eisentür zurück. Inzwischen waren auch Maja und Nils wieder da, beide derangiert und glücklich. Anastasia lief mit den beiden zum Atelier, verabschiedete sich dort, eilte nach Hause, zog sich um und gelangte noch rechtzeitig auf den Kapellenberg, bevor die Kirche schloß. Erst vor der Muttermaria kam sie wieder einigermaßen zu sich.

II
Ein Tag im Leben Merle Johanssons
    Merle Johanssons Wecker klingelte wie jeden Tag um sieben Uhr, und wie jeden Tag war Merles erster Gedanke, wie angenehm das Licht durch den roten Vorhang fiel, den sie hinter den zwei Matratzen vor dem großen Fenster zugezogen hatte. Sie schlief immer auf der rechten Seite, an der Wand mit dem Regal.
    Es gibt Menschen, die ihre Tage idealtypisch verleben, das heißt, bis auf gewisse Details, die austauschbar sind und nicht weiter ins Gewicht fallen, verleben sie eigentlich immer denselben Tag. Alexej zum Beispiel aß

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