Sanssouci
Höschensvollumfänglich an sie schmiegte, was sie sehr angenehm fand, weil sie sich spürte und da war und lebte und das schön war.
Alles war gut.
Später, es war nun gegen halb zehn, montierte sie den Kindersitz auf das alte gelbe Postfahrrad, zog Jesus eine Jacke an, schnallte ihn auf den Sitz, redete noch eine Weile im Singsang auf ihn ein, dann wurde ihr bewußt, daß sie den ganzen Morgen über wieder nichts getrunken hatte. Immer vergaß sie zu trinken! Trinken machte ihr irgendwie keinen Spaß. Heute war es aber notwendig, daß sie etwas trank! Sie müsse nachher Wasser trinken, sagte sie sich. Irgendwann fuhr sie los.
Die Trennung am Kindergarten fiel beiden schwer. Ihr, weil sie gern noch ein wenig bei ihrem Sohn geblieben wäre, vielleicht noch eine Viertelstunde oder sogar eine halbe Stunde, ihm, weil seine Mutter nur zögernd von ihm wegging.
Im Kindergarten lallte Jesus Johansson eine Weile vor sich hin und schwieg dann für den Rest des Tages. Er konnte mit drei Jahren (genau gesagt dreieinhalb) nur den Singsang seiner Mutter sprechen. Das fiel aber nicht weiter auf. Viele in diesem Kindergarten lallten, und mindestens die Hälfte der Kinder schnullerte, und in der Küche gab es heute Dämpfgurken mit Sojabohnengemüse, wie Merle beim Verlassen des Kindergartens zufrieden las.
Sie hatte ein gespaltenes Verhältnis zu diesem Kindergarten. Einerseits war der Waldorfkindergarten der beste und teuerste, der zu bekommen war. Andererseits konnte man niemandem trauen.
Vielleicht aß eine der Aufseherinnen doch insgeheim im Kindergarten hin und wieder ein Wurstbrot. Womit sie den ganzen Kindergarten beschmutzte und verunreinigte . Das war das Schlimmste und Perverseste, was sich Merle vorstellen konnte. Dafür zahlte sie nicht das teure Geld vom Unterhalt.
Im Grunde vertraute sie niemandem in diesem Kindergarten. Dennoch unterhielt sie sich freundlich und begeistert mit allen Eltern und Aufseherinnen, die ihr dort begegneten. Alle duzten sich. Merle wirkte auf die anderen freundlich und still, sie galt als eine schüchterne Person.
Anschließend fuhr Merle in die Stadt, genauer gesagt in die Jägerstraße zum Ökoladen. Den Laden verließ sie nach zwanzig Minuten wieder, ohne etwas gekauft zu haben. Sie ließ das Fahrrad stehen, lief auf die Brandenburger Straße zum Supermarkt und kaufte dort an der Brottheke drei Quarkbällchen und drei Brötchen. Auf der Brandenburger Straße aß sie die Quarkbällchen im Schlendern, wobei sie die Männer auf den Unterwäscheplakaten im Schaufenster des Karstadt betrachtete. Sie zeigten viele Muskeln, auch am Bauch. Sie sahen gesund aus, leistungsfähig, nicht wie Trinker. Merle wischte sich mit dem Handrücken den Puderzucker von den Lippen. So wanderte sie langsam die Schaufenster auf und ab.
Auf der anderen Straßenseite lief X, die mit ihr auf der Schule gewesen war, jetzt zwei Kinder hatte (sie aßen Fleisch und Zucker), und die mit dem Vater der Kinder zusammenlebte. Solche Frauen waren nicht gut, für niemanden. Sie wollte ihr nicht begegnen.
Merle drehte sich um und fühlte eine tiefgreifende Macht. Man mußte sich nur umdrehen, dann wurde man nicht gesehen. Merle Johansson konnte sich im richtigen Moment zurückziehen. Sie hatte alles in der Hand.
Ja, man mußte nur nichts tun. Nichts tun, das war immer richtig. Indem Merle nie etwas tat, geschah alles, wie es schön und richtig und angenehm war.
X sah sie aber und kam auf sie zu. Merle redete freundlich und begeistert mit ihr, und währenddessen stellte sie sich vor, wie sie X langsam in kleine Teile zerschnitt.
Später fuhr sie zum Gemeindezentrum. Dort traf sie einige Freundinnen, man redete über Batiktechniken.
Handarbeit mochte Merle Johansson. Damit konnte man sich stundenlang beschäftigen, tagelang, die Zeit verging ganz langsam, man konnte dasitzen und sich mit den anderen Müttern unterhalten. Sie verabredete sich auch gern zum Basteln. Sie verabredete sich aber nie bei sich zu Hause, dort wollte sie allein sein, denn das war eigentlich noch angenehmer. Sie bastelte auch allein sehr gern. Zum Geburtstag eine Königskrone für Jesus. Oder ein Kästchen bemalen. Oder ein Heft in Papier einschlagen, um anschließend Dinge hineinzukleben, wenn Jesus im Kindergarten war. Dann konnte man so schön dasitzen, sie schlüpfte dann wieder in ihr Oberteil, strickte oder stickte, stellte Betrachtungen an, machte ein bißchen anderweitige Handarbeit, suchte dabei manchmal das Bad auf, so vergingen die
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