Santiago, Santiago
im dreizehnten Jahrhundert gebaut worden ist.
Wir kommen in einem sympathischen kleinen Gasthof unter, der im Zuge seiner Neuerbauung auch einige Einrichtungen erhalten hat, die ihm am alten Orte sicher gefehlt haben: die positive Seite des Todes und der Wiedergeburt einer Stadt.
Zimis Fall und galizische Hilfsbereitschaft
58. Tag: Von Portomarín nach Palas do Rei
Der Sommer unserer Pilgerfahrt geht seinem Ende entgegen. Wie wir aus dem Städtchen hinauswandern, ist der Nebel aus dem Flußtal aufgestiegen. Erst wie wir in einem Seitental des Miño allmählich Höhe gewinnen, wird es heller um uns, und wenig später tauchen wir aus dem Nebel in die Sonne des Herbstmorgens.
Heute wandert Zimi mit uns. Sie bringt aus ihrer Verlegerinnenwelt Ideen und Nachrichten mit, die uns eine willkommene Abwechslung sind. Zugleich aber spüre ich in mir eine gewisse Beunruhigung. Es gelingt mir nicht ohne weiteres, diese neu-alte Welt in das Bewußtsein aufzunehmen, das sich in mir in den letzten drei Monaten entwickelt hat. Denn dieses enthält inzwischen, bei aller Extraversion und Offenheit für die Welt, eine meditative Komponente, und sein Pulsschlag ist ein wenig leiser geworden. Bin ich noch nicht so weit, das Denken und Erleben der Moderne mit der sich entwickelnden neuen Daseinsform zu verbinden? Wird es mir je gelingen? Oder muß ich aus ihm einen abgesonderten Bereich meiner Seele machen, sozusagen ein kleines inneres Kloster? Das möchte ich nicht. Ich habe es schon einmal gesagt: mein Ziel war es, die Welt neu zu sehen und tiefer zu verstehen, eine geistige Dimension in mein Sehen der Welt einzuführen, in der sich modernes und durchaus auch tüchtiges Denken und Wollen mit einem Abglanz jener inneren Wirklichkeiten verbände, denen die Pilger gefolgt sind.
Doch jetzt passiert etwas, das dieses Nachsinnen unterbricht. Wir sind schon fast zwei Stunden unterwegs und haben die grauen Mauern und winkligen Gassen des alten Dorfes Gonzar hinter uns, als sich der Zustand des Weges verschlechtert. Ein kleiner Bach oder eine Quelle hat ihn unter Wasser gesetzt. Im tiefen Morast liegen einige große Steine und Stücke von dünnen Baumstämmen. Wenn man es geschickt anstellt, kann man in kleinen Sprüngen trockenen Fußes hinübergelangen. Verena ist schon drüben, und ich selbst balanciere gerade auf einem größeren Stein, um zum nächsten Sprung anzusetzen, da sehe ich Zimi rechts von mir auf einen nassen Baumstamm springen, ausgleiten und rücklings in den Morast fallen.
- Ist Dir etwas geschehen?
- Ich glaube, ja.
Verena und ich helfen Zimi auf. Ihr linker Arm sieht nicht gut aus, er ist hinter dem Handgelenk verschoben. Es muß ein Bruch sein.
Zimi ist ruhig, die Schmerzen sind noch nicht da. Wir setzen sie an den Wegrand, falten aus einem Kleidungsstück ein Dreieckstuch und legen den Arm in die Schlinge. Wie weiter? Wohl zuerst einmal zurück nach Gonzar. Wir nehmen Zimi in die Mitte und gehen zurück. Nach einigen hundert Metern hören wir jenseits eines kleinen Wäldchens ein Auto. Die Landstraße muß nahe sein. Wir wechseln auf die Straße hinüber und gehen auf das Dorf zu. Beim ersten Hof versuche ich zu telephonieren, aber es ist niemand da. Auch beim zweiten habe ich keinen Erfolg. Sollen wir weitersuchen? Da kommt eine kleiner Deux-chevaux auf uns zu, ich winke, und zwei Minuten später sind wir alle auf der Fahrt nach Palas do Rei.
Der Fahrer ist ein junger Galizier, ein Vertreter. Eigentlich müßte er anderswohin, aber für ihn ist es selbstverständlich, daß man die Verletzte ins nächste Hospital bringt, und das, sagt er, sei in Palas do Rei. Die Fahrt auf der engen, gewundenen Landstraße ist so halsbrecherisch, wie wir es in Irland erlebt haben. Der junge Galizier scheint das Temperament seiner keltischen Vorfahren zu haben. Aber welche selbstverständliche und von Herzen kommende Hilfsbereitschaft!
Palas do Rei ist ein bescheidenes Städtchen, verloren in den galizischen Hügeln. Es besitzt ein »Centro medical«, kein Spital, aber genügende Einrichtungen, um Zimis Arm zu durchleuchten und provisorisch zu schienen. Das alles geschieht völlig unbürokratisch und mit großer Herzlichkeit. Was es koste? Was wir denken, natürlich nichts. Es gelingt mir bei allem Insistieren auch nicht, eine kleine Spende in eine graue Kasse fließen zu lassen. Auch unser erster Helfer nimmt unter keinen Umständen etwas an: spanischer Stolz in seiner besten Ausprägung.
Dieses Tagebuch ist nicht der Ort, Zimis
Weitere Kostenlose Bücher