Santiago, Santiago
eine weite, flacher werdende Landschaft hinaus. In der Ferne erkennen wir das Städtchen Sarrià. Wir sind zwar noch auf etwa 800 Meter Höhe, aber vor uns liegt eine Hügellandschaft, deren Bewegungen sanfter werden.
Allmählich steigen wir in sie ab. Es geht zwar noch einige Male hinauf und hinunter, aber es sind immer kürzere Auf- und Abstiege. Große Wegstücke verlaufen im schattigen Wald. Dazwischen gibt es auch einige Äcker. Ein Bauer ist mit zwei Kühen am Pflügen. Sein Pflug ist ein einfacher, mit dickem Eisenblech geschützter Sporn an einem etwa fünf Meter langen, dünnen Baumstamm, dessen Ende starr mit dem Joch der Tiere verbunden ist: der Archetyp des Pfluges.
In Pintín gibt es eine »Bar«, und wir finden, wir hätten einen Trunk verdient. Der Raum mißt etwa drei auf drei Meter, die Theke ist etwa halb so lang. Es gibt einen kleinen Tisch und drei Stühle. Der Wirt ist ein kleiner alter Mann mit markanten Zügen und klugen Augen. Er trägt seine Boina, die Baskenmütze, auch im Hause. Hinter ihm stehen einige Flaschen auf einem Holzgestell, von der Decke hängen zwei Salami, und man kann hier auch eine Taschenlampe und Knöpfe kaufen. Der Wirt hat allerdings keine Zeit für uns, wie wir uns am Tischchen niederlassen, denn er ist im Gespräch mit einem Dorfbewohner, mit dem er ein Glas Wein trinkt. Dann kommt noch eine Frau dazu, die etwas von seinen Kurzwaren braucht. Die drei unterhalten sich auf Gallegisch, von dem wir nur einzelne Worte verstehen. Die Sprache Galiziens gleicht ja stärker dem Portugiesischen als dem Kastilischen. Ich hole unsere Getränke an der Theke, und wir genießen die Pause am Schatten.
Dann geht es noch einmal eine gute Stunde durch grüne Hügel und alte Dörfer, bis wir im Tal von Sarrià sind. Die Abendsonne verleiht der Landschaft ein plastisches Relief, wie wir ins Städtchen einbiegen.
Sarrià ist ein ruhiges Privinzstädtchen von etwa 10 000 Einwohnern, mit einem Altstadthügel und einigen neueren Quartieren an seinem Fuße. Ganz oben stand einmal eine mächtige Burg, aber von dieser sind nur wenige Reste erhalten. Wir übernachten in einem kleinen Hotel, das »London« heißt. Wie das Haus zu diesem schönen Namen gekommen ist, weiß niemand zu erklären. Die Besitzer haben vor kurzem gewechselt. Darum geben sie sich aber auch Mühe, ihre Gäste zu befriedigen, und wir verbringen eine gute Nacht im »London«.
Blick ins Grab einer mittelalterlichen Stadt
57. Tag: Von Sarrià nach Portomarín
Wir sind nur wenig mehr als hundert Kilometer von Santiago entfernt. Die heutige Etappe führt uns nach Portomarín, wo wir den Miño, den größten Fluß Galiziens, überschreiten werden. Auf dem Wege liegen keine spektakulären Orte. Wir befinden uns im Herzen von Galizien, und das bedeutet grüne Hügel und kleine, alte Dörfer.
Wie wir zu fünft vors Hotel treten, lacht uns ein klarer Herbsthimmel. Der nahe Atlantik scheint uns nicht nur Regen zu bescheren. Heute wandert wieder Peter mit, uns; Zimi und Madlon nehmen die Fahrräder.
Bevor wir die Stadt verlassen, möchten wir uns einen jener Stempel in unseren Pilgerausweis drücken lassen, mit denen wir in Santiago die Stationen unserer Wanderung nachweisen und unser »Pilgerdiplom« verdienen werden. Da es nicht immer leicht ist, den örtlichen Pfarrer zu finden und wir vor uns an der Straßenecke einen Posten der Guardia Civil, der spanische Nationalpolizei, sehen, nehme ich mir vor, den Stempel dort zu holen. Denn wir haben mit ihr bisher nur gute Erfahrungen gemacht.
Auch hier steht vor dem Posten ein junger Polizist in Kakiuniform Wache. Ich muß immer eine gewisse Hemmung überwinden, wenn ich auf diese Männer zugehe, und ich habe den Eindruck, auch sie spannen sich innerlich, wenn eine fremde Gestalt mit Stock und Rucksack auf sie zukommt. Wir befinden uns in einem Lande, in dem die Nationalpolizei ein bevorzugtes Objekt von Anschlägen terroristischer Gruppen ist. Wenn ich dann aber ein wenig zögernd nach dem Stempel frage, löst sich die Spannung unmittelbar, die jungen Leute scheinen erleichtert, daß das Ansinnen ein so harmloses, legitimes und leicht erfüllbares ist. So ist es auch hier. Der Polizist sagt »Un momento«, nimmt mir unsere beiden Ausweise ab und kommt zwei Minuten später mit ihnen zurück. Sein Chef hat sie ordnungsgemäß gestempelt und mit einer schwungvollen Unterschrift versehen. »De nada,« sagt der Gardist, »nicht der Rede wert«, wie ich mich bedanke, und er scheint
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