Santiago, Santiago
ich es: Hier wird die angebundene Taube auf dem waagerechten Gitter am Rahmen in den Baum aufgezogen, und sie muß kurz aufflattern, wenn dieses gekippt wird. Die Jäger sitzen im Hochstand und schießen mit ihren Schrotflinten auf die angelockten Wildtauben.
Doch Verena hat recht: Unser Problem ist vorerst nicht die Deutung dieser Jagdeinrichtungen. Wir müßten sehen, wie wir weiterzukommen. Wir suchen lange nach einer Fortsetzung des Weges, ohne Erfolg. Es fallen einige große Tropfen. Schließlich geben wir unser Suchen auf und gehen resigniert eine Viertelstunde auf der Sackgasse zurück, auf der wir zum Anstand der Taubenjäger gelangt sind.
Bei der Abzweigung wird uns klar: Hier hätten wir links gehen sollen. So tun wir es jetzt und kommen einige hundert Meter gut voran. Dann zweigt ein grober Weg, der offensichtlich nur von Traktoren benutzt wird, nach links ab und steigt an der Flanke des Waldtales auf. Die Fortsetzung unseres Weges ist nun mit Brombeerranken überwachsen. An ein Durchkommen ist nicht zu denken. Unsere Karte ist wieder einmal hoffnungslos veraltet. Also folgen wir widerwillig dem Traktorenpfad. Es geht in Kurven unübersichtlich durch den Wald und an verwilderten Weiden vorbei. Zu allem Unglück beginnt es zu regnen. Wie wir zwischen dem Waldrand und einem hohen Maisfeld sind, wird der Regen zum Wolkenbruch. Weitergehen würde Nässe bis über die Knie bedeuten. Also bleiben wir stehen und lassen den Regen über unsere Schutzhüllen rinnen.
Es ist ein sonderbares Gefühl, an einem völlig fremden Ort, zwischen einem Maisfeld und einem Waldrand im strömenden Regen zu stehen. Nebel schleichen über die Hügel. Kein Mensch weit und breit, kein Laut außer dem Rauschen des Regens. Und doch empfinden wir keine Angst. Wir kennen die hohen Maispflanzen. Die Waldbäume sind uns vertraut. Irgendwo in der Nähe muß ein Dorf sein.
Nach etwa zwanzig Minuten läßt der Regen nach, und wir erkennen etwa 50 Meter vor uns ein Sträßchen. Also dorthin. Aber in welcher Richtung weiter? Ich hätte geschworen, daß es nach links geht. Zum Glück kontrollieren wir die Idee mit dem Kompaß. Links geht es nach Norden. Meine Orientierung war um 180 Grad verkehrt. Also nach rechts, und genau auf markante Punkte der Landschaft achten, damit wir uns auf der Karte wiederfinden.
Nach einer Zeit des unruhigen Wanderns und Ausschauhaltens in einem coupierten Gelände mit kleinen Tälern, Wäldchen und Weiden, meine ich den Punkt auf der Karte zu erkennen, an dem wir uns befinden könnten. Wenn meine Vermutung stimmt, muß nach einem Rank unter uns eine kleine Kirche auftauchen. In der Tat, da ist sie. Wir sind wieder einmal davongekommen.
Es geht nun abwärts und durch saubere kleine Dörfer auf Saint-Palais zu. Zwischendurch kommt es noch einmal zu zwei Wolkenbrüchen. Wir sind nun doch ziemlich naß. Aber die Besiedlung wird dichter, wir nähern uns der Stadt. Im Hotel de Ville erklären uns zwei freundliche junge Baskinnen, wo der Hauptplatz mit seinen vier Hotels ist. Wir finden ihn und kommen im Hotel du Midi wieder ins Trockene — und zu unserer ersten Erfahrung mit dem Volk der Basken.
Nichts von Unordnung, schon gar nichts von Terror. In den Straßen von Saint-Palais gibt es keine Abfallkörbe, aber es liegt nichts herum. Das Städtchen ist eines der saubersten, das wir bisher kennengelernt haben. Die Wirtsleute sind tüchtig und freundlich, und ihre Küche ist gut. Zwar wird hier kein Wein mehr gepflanzt, aber etwas weiter nördlich hat es mehr als genug davon. Also kommen wir auch zu dem Pilgertrunk, den schon die mittelalterlichen Quellen empfehlen. Nach einem Tag der Irrungen und des Problemlösens schlafen wir gut und freuen uns auf die weiteren baskischen Erfahrungen.
Pilger von Paris, von Vézelay und von Le Puy
30.Tag: Von Saint-Palais nach Larceveau (Larcabalé)
Der neue Tag fängt gut an. Ein leichter Nebel ist in der Luft, aber wir spüren, daß er sich bald auflösen wird. Uns ergreift das Lebensgefühl der Bergsteiger im Herbst, ein hoffnungsvolles und kräftiges. Die Luft wird heute klar und durchsichtig sein, der Tag sonnig und mild. Auf den Weiden werden Rinder und Schafe grasen. Wir werden mit uns und der Welt zufrieden sein. Übermorgen sind wir am Fuße der Pyrenäen, und am Tage danach werden wir den Boden Spaniens betreten.
Also südwärts, aus dem Städtchen hinaus. Das Sträßchen steigt leicht an, wir streben einem kleinen Sattel zu. Auf der Straße kommt uns eine Schafherde
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