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Santiago, Santiago

Santiago, Santiago

Titel: Santiago, Santiago Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Aebli
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seiner Nähe. Bauern fahren auf ihren Traktoren zur Arbeit. In der Höhe kreisen die Sperber. Von Zeit zu Zeit ertönt ihr scharfer Schrei.
Nun ist es noch eine knappe Stunde bis Larceveau oder, wie es auf baskisch heißt, bis Larcabalé, wo wir übernachten wollen. Unten im Tal verläuft die Straße schnurgerade auf diesen Ort zu. Wir haben es besser, folgen dem alten Talweg, der, leicht erhöht und natürlich, dem Fuß der Berge nachgeht. Jede Wegbiegung eröffnet eine neue Perspektive des Tales. Dann kommen wir nach Larceveau hinunter. An der Straße steht eine moderne Käserei und ein schmucker Landgasthof. Er hat Platz für uns, und wir sind für eine Nacht gut aufgehoben.
     

Die Sprache der alten Baskin
31. Tag: Von Larceveau nach Saint-Jean-Pied-de-Port
 
Es geht weiter talaufwärts den Pyrenäen zu. Der alte Talweg ist gut unterhalten, das Wandern macht Freude. Die Wiesen sind hier tadellos gemäht und so glatt wie auf einem Golfplatz, die Steine herausgetragen oder im Boden versenkt. Dies macht eine Landschaft wohnlich und human. Der Wanderer sucht nicht einfach die wilde, unberührte Natur, die häufig unwirtlich und bedrohlich ist. Er möchte sich in ihr wohl fühlen, und dazu bedarf sie der menschlichen Pflege.
Das Wetter ist heute allerdings nicht freundlich. Die Berge sind tief mit Wolken verhangen, die Sonne dringt nicht durch. Bei Utxiat verengt sich das Tal, und es steigt eine Stufe auf. Unser Weg weicht dem Tobel aus und beschreibt einen Bogen durch den Berghang. Er ist heute kaum mehr benützt, man spürt das Alter des Weges. Vor einem zwischen Bäumen versteckten und mit einer Rebe überwachsenen Bauernhaus pflückt eine alte Frau Bohnen von der Stange. Ihr Garten quillt über von Blumen und Gemüse. Wir versuchen ein kleines Gespräch über den Gartenzaun und staunen über das gepflegte Französisch der Frau. Sie habe ihr ganzes Leben hier im Tal verbracht, gesteht sie uns. Aber sie sei gerne zur Schule gegangen und habe immer viel gelesen. Im Hause sei ihr neunzigjähriger Mann. Er sei bettlägrig und könne das Haus nicht mehr verlassen. Sie pflege ihn, so lange sie noch könne.

Die Worte lassen uns nachdenklich werden, und sie klingen im Weitergehen noch lange in unseren Ohren. Wir reden so viel von Bildungschancen. Wo waren die »Bildungschancen« dieser Frau? Was macht unsere Generation aus den Chancen der Bildung, bespielsweise, wenn es um die Sorge für die Eltern und Großeltern geht?
Über einen kleinen Sattel kommen wir zur nächsten Talstufe. Hier setzt nun ein feiner Nieselregen ein, man sieht nicht mehr weit, und die Kapuze der Regenpelerine engt den Blick noch weiter ein. So kommen wir mit kalten Nasen und steifen Händen nach Saint-Jean-le-Vieux, einem kleinen Städtchen, und sodann in einer weiteren halben Stunde auf Saint-Jean-Pied-de-Port zu.
Die Zitadelle, unter der wir uns der mittelalterlichen Stadt nähern, ist von Vauban selbst geplant worden, ein Zeichen dafür, wie wichtig Ludwig XIV den Ort am Übergang nach Spanien einschätzte. Die Altstadt selbst ist nicht viel mehr als eine Straße mit zwei Häuserzeilen. Es sind niedrige, zweistöckige Häuser, das Untergeschoß gemauert, das Obergeschoß häufig im Fachwerkbau. Tausende und Abertausende von Pilgern müssen im Verlaufe der Jahrhunderte durch diese Straße gegangen sein. Sie senkt sich gegen ein kleines Flüßchen mit kristallklarem Bergwasser, in dem sich Schwärme von Forellen tummeln. Bei der Brücke hat sich am Ende des 15. Jahrhunderts, als der Thüringer Mönch Hermann Künig von Vach hier vorbeigekommen ist, das Pilgerhospiz befunden, denn er schreibt:
 
Uber eyn myl (Meile) komestu in sant Johans stat...
By der brücken findestu eyn spital zuo der rechten hant.
 
Heute ist Saint-Jean eine Stadt mit viel Durchgangstourismus, Hotels und Souvenirläden. Wir haben hier einiges Praktische zu erledigen. Die 50 000er Landeskarten von Spanien warten postlagernd auf uns, denn wir wollten das Pfund Papier nicht durch Frankreich tragen, und unsere Rucksäcke, die zwar leicht sind, enthalten immer noch Dinge, die wir eigentlich nicht brauchen. Diese und die Papiere, die sich in Frankreich angesammelt haben, wollen wir zurückschicken.
Sodann macht uns der nächste Tag einige Sorgen. Saint-Jean liegt auf 190 Meter Meereshöhe, und der Übergang nach Spanien wird uns auf 1500 Meter hinaufführen. Aimeric schreibt:
 
»Sublimitas namque ejus tanta est quod visa est usque ad celum tangere, cujus ascensori visum est

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