Santiago, Santiago
instruiert: Rand wie bei einer Schirmmütze nach vorn ziehen und die Falte in der Mitte brechen. Die Basken tragen ihr Béret schief über dem Ohr. Das widerspricht dem protestantischen Ernst von Orthez.
Vom Leben der Wege
28. Tag: Von Orthez nach Sauveterre
Wir wandern aus dem Tal des Gave de Pau hinaus nach Süden, vorerst durch die Felder der Talsohle und dann durch die ansteigenden Rebberge. Wir haben ihren Wein in Orthez versucht und sind zum Schlüsse gekommen, daß er sich durchaus sehen, beziehungsweise trinken läßt, auch wenn wir seinen Namen noch nie gehört haben.
Wie wir aus dem Talgrund herauskommen, komplizieren sich die Wegverhältnisse. Zuerst fällt uns auf, daß hier offenbar niemand mehr durchgeht. Dann versperrt plötzlich eine Kiesaufschüttung den Weg. Nachdem wir hinübergeklettert sind, blicken wir in eine Mondlandschaft: nackte Erde, Kies und Geröll so weit das Auge reicht. Beim genaueren Hinsehen erkennen wir, daß die Landschaftsformen durchaus geometrisch sind. Hier hat kein Wildbach gewütet. Ein breiter ebener Streifen zieht sich vielmehr durch das Tal: die im Bau befindliche Fortsetzung der Autobahn, die wir bei Orthez angetroffen haben. Es ist Sonnabend, darum ruhen die Arbeiten.
Wir durchqueren die Wüste, klettern auf der Gegenseite eine hohe Kieshalde hinauf und gelangen über eine Kante in einen Rebberg. Er ist von der Autobahn querdurch zerschnitten worden. Die Wurzeln der äußersten Rebstöcke hängen im Raum: der Eingriff in die Landschaft ist brutal.
Wir müssen uns neu orientieren, denn wir haben den Zusammenhang der Wege verloren. Mit der Zeit finden wir uns wieder zurecht und können den Weg fortsetzen. Wir haben den Autobahnbau in der Perspektive des Wanderers erlebt und Stoff zum Nachdenken gewonnen.
Auch ein Wegnetz hat sein Leben. Es ist ein Stück gewachsene Kultur mit eigener Geschichte. Alte Wege haben sich den Gegebenheiten der Landschaft, ihren Formen, aber auch ihren Menschenwerken, den Bauten und der Art der Nutzung des Bodens angepaßt. Ein großer Teil des Lebens der Bevölkerung hat sich auf ihnen abgespielt. Sie kennt sich darin aus und ist mit ihnen vertraut. »Man weiß, was wohin führt,« wie ein großer Psychologe gesagt hat. Auch wir Wanderer sind Teil dieses Systems. Wenn wir auch einmal über Hitze und Müdigkeit klagen: wir sind darin aufgehoben. Ein Wegnetz zu zerstören, ist keine geringere Untat, als ein historisches Gebäude zu zerstören. Natürlich kann man Wege wie auch Gebäude rekonstruieren, rechtwinkliger und solider sogar als zuvor. Aber bei beiden kann ihr altes Leben nicht leicht wiedererweckt werden. Ihre Zerstörung hat ein Werk von Mensch und Natur und ein Stück Leben untergehen lassen.
Wir gelangen über einen langen Bergzug auf die waldige Höhe, die das Tal abschließt, und sehen nun in eine weite Talmulde hinunter. Das Städtchen Salies muß in seiner Mitte liegen; es ist noch nicht sichtbar. Wir steigen zuerst gemächlich durch Weiden und Felder, dann steiler, ins eigentliche Tal ab. Die ersten Häuser sind vornehme Hotelkästen aus dem letzten Jahrhundert. Ihre Pracht welkt jedoch dahin. Im Zentrum folgen wir einem Kurpark. Er ist für die nachmittäglichen Spaziergänge älterer Ehepaare angelegt, aber auch diese Art von Kurgästen und ihre Art, den Urlaub zu verbringen, ist am Aussterben. Keine Kurkapelle spielt hier mehr die Salonstücke der Jahrhundertwende. Der Kurverein ist offensichtlich dabei, auf eine aktive und sportliche Urlaubskonzeption umzustellen.
Aber es gibt auch noch das alte Salies, ein historisches Städtchen mit malerischen Fachwerkhäusern über dem Stadtbach. Es wird beherrscht von einer mächtigen Kirche, die auf einem Felsensporn über den Dächern der Altstadt thront. Deren Mitte bildete früher ein Weiher, der von einer starken, salzgesättigten Quelle gespeist wurde. Hier schöpften die Bewohner die Sole und verdampften sie zu Salz. Im 19. Jahrhundert entdeckten die Kurgäste den Ort. Sie waren der Meinung — oder ließen sich einreden —, daß das Baden in dieser Sole gesund sei.
Auch das ist Vergangenheit. In einem sympathischen kleinen Museum ist sie mit Liebe dargestellt. Sie wird dem interessierten Besucher von zwei alten Damen freundlich erklärt. Sie tun es ehrenamtlich und freuen sich, daß wir alles über die Salzherstellung wissen wollen. Von ihnen erfahren wir auch, daß am morgigen Sonntag in der Nachbarstadt Sauveterre protestantischer Gottesdienst ist. Ihn zu besuchen
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