Santiago, Santiago
entgegen. In einem Hausgarten ist ein alter Mann an der Arbeit. Wir versuchen den baskischen Gruß »Egun hun«, den wir gestern abend gelernt haben. Der Mann lacht und antwortet mit mehreren baskischen Sätzen. Wir müssen ihm gestehen, daß wir außer den zwei Worten kein Baskisch verstehen. Aber das hat er uns natürlich längst angesehen, und so reden wir französisch weiter, ein freundliches Gespräch über den Gartenzaun. Wir erfahren, daß der Weiler »Hiriburia«, »Ende der Stadt«, heißt. Ich vermute, daß man damit im Mittelalter nicht das Ende der Siedlung, sondern die Grenze der Gerichtsbarkeit von Saint-Palais gemeint hat.
In Hiriburia ist ein Stein errichtet, der daran erinnert, daß hier die drei wichtigsten Jakobswege Frankreichs, der Weg von Paris, derjenige von Vézelay und der von uns gewählte Weg von Le Puy, zusammenkommen und gemeinsam weiterführen. Es ist eine Steinscheibe, wie man sie auf den Grabsteinen der alten baskischen Friedhöfe findet.
Dann steigen wir weiter auf und kommen auf der Höhe zu einer kleinen Kapelle. Hier sieht man weit in die Runde. Vor uns, nun schon zum Greifen nahe, die kahlen Berge der Pyrenäen, links und rechts die Hügel und Berge ihres Vorlandes, überstreut mit den baskischen Einzelhöfen und kleinen Weilern. Alle Häuser sind getüncht, weiße Punkte in einer grünen Landschaft. Hinter uns bildet der Horizont eine waagerechte Linie, die unendliche Folge der niedrigen Hügel und Täler, die wir durchwandert haben. Sie verlieren sich im blauen Dunst.
Wir wandern nun geradewegs auf die Pyrenäen zu, entlang der Flanke eines Tales, das nach Saint-Jean-Pied-de-Port hinaufführt. Es geht durch einen Kastanienwald leicht abwärts auf eine große Lichtung zu. Mitten darin liegt ein Weiler, der heute nur mehr aus vier großen Bauernhäusern besteht: Harambeltz, von dem schon die mittelalterlichen Urkunden berichten. Damals war es ein Benediktinerpriorat und ein wichtiges Pilgerhospital. Von alledem besteht nur noch eine kleine Kapelle mit einem ganz kleinen alten Kirchhof.
Ein alter Mann schließt sie uns auf. Als das Bemerkenswerte daran empfinden wir nicht so sehr ihr rustikales Innere, sondern die Tatsache, daß diese Kapelle seit der Französischen Revolution von den vier Familien, die hier wohnen, aus eigener Kraft unterhalten wird. Identifikation der Bergler mit ihrer Gemeinde. Es ist ihre Kapelle, nicht eine Kapelle, die man ihnen hingestellt hat.
Die Häuser zeigen das gleiche Selbstbewußtsein: jedes einzelne sauber geweißelt, die Tore in der Firstwand aus einem roten Stein sorgfältig gehauen, über dem Bogen eine große, mit archaischen Kreuzzeichen verzierte Tafel aus schiefrigem Stein, in die die Namen der Eheleute, die das Haus gebaut oder erneuert haben, eingemeißelt sind.
Dann geht es durch einen lichten Wald fast eben auf Ostabat zu. Es sind alte Eichen, Buchen und Tannen. Wir gehen auf einem weichen Teppich von Nadeln und Humus, kein Stein stört das Wandern. Von Zeit zu Zeit öffnet sich ein sonniger Durchblick auf das Tal zu unserer Linken. Wie wir den Wald hinter uns haben, sehen wir vor uns ein kleines Dorf. Es liegt auf einer Terrasse etwas erhöht über dem Talgrund, wenige Bauernhäuser, eine unbedeutende Kirche aus dem 19. Jahrhundert. Aber es ist das berühmte Ostabat, eine der wichtigen Stationen auf dem Jakobsweg.
Wir kommen durch blühende Wiesen ins Unterdorf und steigen durch eine steile Gasse ins Zentrum auf. Immer noch nichts von einer historischen Siedlung, lauter Ställe und Bauernhäuser mit Blumengärten. Nur wenn man genauer hinsieht, bemerkt man, daß diese Häuser zu anderen Zwecken erbaut worden sind: da ein sorgfältig gehauenes Profil an einem Fenstersturz, dort die kunstvoll geformte Stütze eines Balkens.
Im Hochmittelalter hat Ostabat fünf große Hospitäler gehabt. Es ist eine Stadt mit Mauern und Türmen gewesen. Sie soll 5000 Pilgern Obdach geboten haben. Das mag mittelalterliche Übertreibung sein. Sicher ist die wichtige logistische Stellung des Ortes, sicher auch, daß der Ort im Spätmittelalter 20 Herbergen zählte, deren Namen einen vertrauten Klang haben: »Zum Kreuz«, »Zum Schlüssel«, »Zum weißen Roß«. Nur das stattliche Rathaus deutet auf die bedeutende Vergangenheit des Ortes hin. Sonst gibt es hier kein Hotel mehr, nur noch ein Café. Aber der Ort scheint ein neues Gleichgewicht gefunden zu haben. Er erweckt nicht den Eindruck des Niedergangs, er ist sauber und lebendig. Kühe und Schafe weiden in
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