Santiago, Santiago
Unterschied ist, daß Saint-Jean zu allen Zeiten mit Mauern und Gräben befestigt war, während Burgete trotz seines Namens ein bloßes Straßendorf ist. Es gab da für die Spanier nicht viel zu verteidigen. Denn im Gegensatz zu Saint-Jean, das nur 190 Meter über dem Meeresspiegel in einem fruchtbaren Tale liegt, befinden wir uns in Burgete noch auf 900 Meter, hoch in den Bergen oben. Das sieht man dem Dorf allerdings nicht ohne weiteres an, denn es liegt in einer weiten Mulde, und die Berge links und rechts sind nicht viel höher. Nur im Norden erheben sich die Pyrenäen und steigt die Straße zum Col de Cize auf.
Der Fluß im Tal von Burgete fließt, wie alle Flüsse in diesem Gebiet, nach Süden auf den Ebro zu. Wir streben nach Südwesten, darum müssen wir jetzt von einem Tal ins andere hinüberwechseln. Es sind hier oben allerdings noch keine tiefen Gräben, sondern unübersichtliche Netze von kleinen Bachtälern.
So wandern wir am 2. September erwartungsvoll aus Burgete hinaus und auf die niedrigen Berge im Westen zu. Die Landschaft ist anders, als wir sie uns vorgestellt haben. Es ist noch nicht das trockene, von der Sonne verbrannte Spanien. Navarra ist hier oben eine grüne Waldlandschaft, Dörfer mit Wiesen und Feldern sind darin eingebettet. Der leichte Regen des Morgens erhöht den Eindruck mitteleuropäischer Frische. In Aimerics Worten:
»... tellus Navarrorum felix pane et vino, lacte et peccoribus habetur. Navarri et Bascli unius similitudinis et quali-tatis in cibis scilicet et vestibus et lingua habentur...«
»Das Land Navarra ist reich an Brot und Wein, Milch und Vieh. Navarreser und Basken ernähren und kleiden sich ähnlich, und sie haben die gleiche Sprache.«
Wir sind rasch von der Hauptstraße weggekommen und steigen jetzt durch Wiesen gegen eine bewaldete Höhe auf, durchqueren einen schmalen Waldstreifen und entdecken unter uns das Dorf Mezquiriz. Der Weg ist schlecht. Er ist ausgewaschen und glitschig von der Nässe. Doch das Dorf gefällt uns: archaische Steinbauten mit römischen Ziegeldächern, wenig Gärten, eine große Kirche und eine einfach gebaute, große Halle. Wir erfahren später, daß sie dem baskischen Ballspiel dient.
Einige Kühe kommen uns entgegen. Hinter ihnen geht ein Bauer mittleren Alters. Er trägt Baskenmütze und Stiefel und treibt die Tiere mit einem Stock an. Seine Gesichtszüge haben Charakter. Wir grüßen und versuchen unser erstes spanisches Gespräch. Es geht leichter, als wir denken, denn der Mann fragt uns sofort, ob wir nach Santiago unterwegs seien. Keine Kunst, dies zu bestätigen. Woher wir kommen? Auch nicht schwer, »de Suiza« zu sagen. Das gibt mir Mut, ihm ein Kompliment für seine schönen Tiere zu machen. So einfach meine Worte sind, er freut sich darüber, erkennt daraus, daß wir ihn und seine Welt ernst nehmen und uns mit ihm verbunden fühlen. Über uns kreist ein großer Raubvogel. Er hat die Spannweite eines Adlers. Ich frage den Mann, ob es wirklich ein Adler sei. Er bestätigt es ganz selbstverständlich. Es gebe viele Adler hier oben.
Es ist leicht, als Wanderer mit den Menschen einer Region in Kontakt zu kommen. Indem wir wie sie zu Fuß gehen, nehmen sie uns für ihresgleichen. Auf eine Weise haben wir auch die gleichen Probleme wie sie, wir ertragen Regen und Hitze, frieren, haben Durst, müssen unseren Weg finden und sind dankbar für ein freundliches Wort. Wie anders ist es, wenn wir als Touristen aus dem Wagen steigen, unseren Photoapparat zücken und schnell ein Bild knipsen. Dann sind wir die Fremden aus dem reichen Norden. Wenn unsere Bilder noch so perfekt sind, unsere Erfahrungen sind ärmer.
Wir wandern nun durch das Dorf Mesquiriz. Die Menschen begegnen uns natürlich, sie grüßen uns, ohne Aufhebens zu machen. Der Pilger ist hier seit Jahrhunderten eine vertraute Erscheinung. Aus der Nähe besehen, erweist sich das Dorf allerdings als weniger pittoresk und um einiges ärmer als Burgete. In der Vergangenheit muß es lebendiger gewesen sein. Die Felder in seiner unmittelbaren Nähe sind zwar bestellt, aber die darüberliegenden Terrassen zerfallen und verwandeln sich in Weiden zurück.
Wir durchqueren nun den Oberlauf des Río Erro in einem zerfurchten Gelände von kleinen Bächen, einsamen Höfen und waldigen Höhen. Die Orientierung ist schwierig, wir wissen nicht recht, wo wir sind, aber auf dem gut markierten Weg kommen wir problemlos vorwärts. Nach einer Weile auf der Straße zweigt ein schmales Sträßchen
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