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Santiago, Santiago

Santiago, Santiago

Titel: Santiago, Santiago Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Aebli
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Jerusalem einfach und doch lebendig bewegt dargestellt.
Dann hat uns der Asphalt der Hauptstraße wieder. In Castildelgado (»schlanke Burg«) haben wir genug. In einer Raststätte für Lastwagenfahrer, dem einzigen Restaurant des kleinen Ortes, suchen wir bei lauter Automatenmusik nach einer Möglichkeit, der Autostraße zu entrinnen. Die Frage ist, ob die Wege, die auf der Karte verzeichnet sind, noch existieren. Bei der Trockenheit dieser Landschaft sind sie jedoch kaum eingewachsen, und in den Hügeln ist die Flurbereinigung wohl auch nicht so radikal wie in der Ebene betrieben worden. Einen Weg mit Stützmauern pflügt man nicht so leicht um.
So wollen wir es wagen. Wir werden versuchen, parallel zur Landstraße, jedoch hinter der ersten Hügelkette, nach Belorado zu gelangen.
Das Wagnis gelingt. Beim Höhersteigen gelangen wir in eine Landschaft von epischem Zuschnitt. Es sind sanft ansteigende Berge, die meistens in einer flachen Tafel enden. Gelbe, abgeerntete Weizenfelder ziehen sich bis auf die Höhen hinauf, in immer neuen Wellen, so weit das Auge reicht. Kaum ein Baum, kaum ein Strauch. Corots Gelb in allen Schattierungen, darüber das dunstige Blau des Himmels. Nur wenige, steilere Hangstellen sind braun und unbebaut, mit Spuren einstiger Terrassierung. Unser Sträßchen, einmal weich vom dürren Gras, ein andermal steinig, zieht sich durch die sanften Täler und Höhen von Sattel zu Sattel. Immer wieder scheint es sich am Himmel zu verlieren. Es ist die vollkommene Einsamkeit: kein Mensch, kein Tier, so weit das Auge reicht. Nur in der Luft, hoch über uns, kreist dann und wann ein Raubvogel. Ein einziges Mal erschreckt uns ein Schwarm Rebhühner, der aus einer Hecke am Wegrand auffliegt. Dann herrscht wieder Stille.
Fast ohne Anstrengung durchwandern wir einige Kilometer, dann senkt sich das Sträßchen durch ein Tal mit Steineichen und Büschen, und wir kommen auf ein Dorf zu. Von weitem sieht es malerisch aus. Aber wir sehen keinen Menschen. Das erste Haus, an dem wir vorbeigehen, ist eingestürzt, Dachbalken ragen aus den Mauern ins Leere. Das nächste Haus trägt eine Fernsehantenne. Es muß zum Teil bewohnt sein. Auf der anderen Seite ist auch hier das Dach durchlöchert. Über eine von Wasserrinnen durchfurchte Erdstraße steigen wir zur Kirche auf. Ihre Mauern sind von Rissen durchzogen. Zwei große, vom Grünspan verfärbte Glocken hängen schief im Turm. Es ist, als wenn sie mitten im Läuten angehalten worden wären. Im Näherkommen erkennen wir, daß die Kirche in eine Scheune umgewandelt ist.
Wir haben immer noch keinen Menschen gesehen. Nur ein unscheinbarer Hund betrachtet uns unsicher von der Seite. Er bellt nicht. Einen Steinwurf von der Kirche entfernt steht ein einstöckiges Haus mit flachem Dach, es ist aus billigen Betonziegeln errichtet. Über der Tür ist ein Reklameplakat für Helado, Eis, angeheftet, und die drei ausgeschnittenen Buchstaben BAR sind daraufgeklebt: die Gaststätte des Ortes.
In gedämpfter Stimmung verlassen wir das Dorf — und haben immer noch keinen seiner Einwohner gesehen. Schämen sie sich ihrer Armut? Was wir hier erleben, gehört auch zur Landschaft, die wir durchwandern. Wir haben sie wohl zu verklärt gesehen.
Nach dem Dorf — es trägt den schönen Namen Quintanilla del Monte — geht es noch einmal für anderthalb Stunden durch die gelben Wellen dieser Berge. Dann prägt sich ihr Tafelcharakter stärker aus, schiefrige Felsen mit waagerechten Schichtmustern führen zu ihren Rändern hinauf. Ein kleines, grünes Tal öffnet sich vor uns und zieht sich in ein größeres hinab. Dort fließt der Río Tirón zum Ebro hin. Belorado liegt an seinem Ufer.
Wir kommen gleichsam durch die Hintertür in die Stadt. Die Häuser sind die gleichen wie in den Dörfern: ein gemauertes Untergeschoß, darüber ein zweiter Stock in Fachwerkbau. Die engen Straßen sind fast menschenleer, denn es herrscht noch Mittagsruhe. Nur auf einem kleinen Platz sitzen zwei schwarz gekleidete, ältere Frauen im Schatten der Platanen. Sie erklären uns bereitwillig, wie wir zur Plaza mayor, dem Hauptplatz der Stadt, gelangen.
In Belorado gibt es zwar nur ein einziges Hotel, aber zahllose kleinere und größere Fabriken für Lederkleider. Die Stadt nennt sich darum auch stolz »La capital de la piel«, die Hauptstadt des Leders. Uns wäre eine »Hauptstadt der Betten« lieber, denn das Hotel ist ausgebucht. Die Spanier kommen in Bussen auf Einkaufsfahrt hierher. Aber die Belorader

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