Santiago, Santiago
trägt bei, was er hat. José hat von einer Bäuerin eine Weinflasche voll Milch erhalten. Er sagt, das sei noch echte Milch, so richtig kräftige, nicht die dünne Einheitsmilch aus dem Supermarkt, und er gibt dazu seiner Stimme selbst einen kräftigen, tiefen Ton. In einem leeren Konfitürenglas hat er sein Kaffeepulver der Einfachheit halber, oder weil es hart geworden ist, mit ein wenig Wasser aufgelöst. Mit dieser Essenz will er die heiße Milch in Milchkaffee verwandeln. Das ist nun auch unseren Bayern allzu stark, und wir optieren für eine Alternative von Schwarztee. Dann fordert José die jungen Leute auf, das Tischgebet zu sagen, und wir geben uns alle die Hände. Es herrscht eine herzliche und fröhliche Stimmung. Die Gemeinsamkeit des Ziels überwindet die sprachlichen Barrieren. Zum Schluß waschen wir das Geschirr ab und räumen die Küche ein wenig auf. Pater José hat nämlich gegenwärtig keine Haushälterin.
Wir zögern vor dem Drei-Sterne-Hotel
43. Tag: Von San Juan de Ortega nach Burgos
Am nächsten Morgen gibt es noch ein gemeinsames Frühstück, dann nehmen wir Abschied. José María bleibt auf seinem Posten zurück, die Studenten werden per Fahrrad in einer guten Stunde in Burgos sein, und für uns ist es ein Tagesmarsch.
Vorerst geht es geradeaus durch den gleichen niedrigen Wald, den wir gestern durchwandert haben. Dann kommen wir in die offene Landschaft hinaus. Hier leuchtet das intensive Gelb von Stoppelfeldern und trockenen Wiesen. Nur das dunkle Blaugrün vereinzelter Eichen fügt ein kühleres Farbelement hinzu.
Am Himmel ziehen Wolken aus Nordwesten. In unserem Rücken, gegen die Berge hin, werden sie gewittrig dunkel. Dann und wann bricht die Sonne durch und sendet ein Strahlenbündel auf die Erde. Vor uns, wenig tiefer, die ersten zwei Dörfer Kastiliens; Navarra liegt nun hinter uns. Hinter ihnen steigt nochmals eine Hügelkette auf. Und dann, im Dunst verschwindend, eine einzige, unendliche Ebene. Wir sind sind nicht nur am Übergang nach Kastilien, wir blicken auch zum ersten Mal in seine Meseta hinein.
Sie erstreckt sich etwa 200 Kilometer weit nach Westen, bis an den Rand der Bergketten, die Kastilien und León von Galizien trennen. Auch für Aimeric endet hier das arme und rauhe Navarra, das er nicht liebt, und es öffnet sich vor ihm das reichere und zugänglichere Kastilien:
»...transito nemore Oque, versus scilicet Burgas, sequitur tellus Yspanorum, Castelia videlicet... Hec est terra plena grazis, auro et argento, palleis et equis fortissimis felix, pane, vino, carne, piscibus, lacte et melle fertilis; lignis tarnen est desolata...«
»Wenn man den Wald von Oca hinter sich hat und auf Burgos zugeht, kommt man in das Land der Spanier, nämlich nach Kastilien... Hier gibt es alle Reichtümer, Gold und Silber, reichlich Futter und starke Pferde, Brot, Wein, Fleisch, Milch und Honig. Nur an Holz fehlt es.«
Es ist ein sanfter Abstieg in dieses Land, der Weg ist eben und angenehm. Die Dörfer Agés und Atapuerca sind großzügig in die weite Talmulde hingestreut. Auch der Aufstieg in die Hügel ist leicht. Den kalkigen Untergrund deckt hier nur eine dünne Grasnarbe. Da und dort liegt ein violetter Schleier über dem Boden: zahllose, kleine Herbstzeitlosen. Herbstzeitlosen? Es ist schon Mitte September. Morgen sind wir zwei Monate unterwegs.
Oben auf dem Hügel wechseln Gruppen von Steineichen mit schütterer Weide ab. Es ist noch einmal ganz einsam geworden. Das müssen die Leute hier auch so empfinden. Der Ort heißt Hexenfeld, »Campo de las Brujas«.
In der Ferne erkennen wir schon die ersten Häuser von Burgos. Vor uns erstreckt sich noch ein System von untiefen Tälern mit einzelnen Dörfern, wieder im intensiven Gelb der Getreidefelder. Wir steigen in sie ab und kommen auf ein Talsträßlein. Die Dörfer sind freundlich, zum Teil verraten die Häuser schon einen bescheidenen, städtischen Anspruch.
Wir lassen auch diese Hügel hinter uns. Es geht in das flache Tal des Río Arlanzón hinaus, an dem Burgos liegt. Dann noch eine Kaserne auf freiem Feld, die ganz und gar nicht unserer Vorstellung einer volksverbundenen Milizarmee entspricht: sie ist von hohen Stacheldrahtzäunen umgeben, mit Scheinwerfern und Wachttürmen an den vier Ecken und Wachtsoldaten an den Eingängen. Aber wir sagen uns, daß dieses Land eine schwierigere Vergangenheit als unsere glückliche Schweiz hat und daß es die Probleme mit seinen Minderheiten zum Teil erst noch lösen
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