Santiago, Santiago
weißen Hühnerpaar. Mit etwas Glück kann man den Hahn während der Messe krähen hören, zum Gaudi der Touristen. Schon Hermann Künig von Vach wußte von dieser Attraktion:
Ghe vier myl zuo sant Dominicus ist myn rat
Im spital findestu zu drincken und zu essen
Der hünle hinder dem altar saltu nicht vergeßen.
Es ist die Legende von einem jungen Pilger, der mit seinen Eltern
nach Santiago unterwegs gewesen sein soll. Hier in Santo Domingo habe sich die Wirtstochter in ihn verliebt, der junge Mann habe ihre Gefühle aber nicht erwidert. Aus Rache habe sie einen Becher in seinem Brotsack versteckt und ihn dann des Diebstahls bezichtigt, wofür der Arme durch den Richter zum Tode verurteilt und an den Galgen gebracht worden sei. Seine Eltern hätten nichts anderes zu tun gewußt, als die Pilgerfahrt fortzusetzen und Hilfe beim heiligen Jakob zu suchen. Wie sie wieder in Santo Domingo zurück gewesen seien, hätten sie ihren Sohn wunderbarerweise noch lebend am Galgen hangen gefunden. Sie seien zum Richter geeilt, um die Erlaubnis einzuholen, ihn herunterzunehmen, weil er ja noch lebe und das Wunder seine Unschuld beweise. Der Richter, der gerade bei Tische saß, hätte das nicht glauben wollen und habe gesagt: Wenn Euer Sohn noch lebt, so lebt auch das Huhn hier auf meiner Platte. Da habe dieses wieder Federn angenommen und sei gackernd davongeflogen. Das habe dem Richter die Augen geöffnet, und er sei mit den Eltern zum Galgen geeilt, wo sie den jungen Mann glücklich heruntergeholt und wieder auf den Boden der Wirklichkeit gesetzt hätten. Zur Erinnerung an dieses Wunder wird in der Kathedrale von Santo Domingo das Hühnerpaar gehalten.
Das Grab des heiligen Dominicus, der nicht mit dem Ordensgründer identisch ist, liegt in einer schönen Krypta unweit des goldenen Hühnerkäfigs. Die Brücke, deren erste Konstruktion der Heilige veranlaßt haben soll, hat uns dagegen enttäuscht. Sie befindet sich außerhalb der Stadt und ist zwar viel länger, als wir sie uns vorgestellt haben, denn sie überquert das breite Kiesbett des Flußes Oja. Aber im September könnte man dieses auch zu Fuß überqueren, so wenig Wasser fließt darin. Im übrigen hatte ich mir eine schwierige Brückenkonstruktion zwischen steilen Ufern vorgestellt. Santo Domingo liegt indessen, wie gesagt, in einer großen Ebene, so daß es hier keine Kunststücke des Brückenbaus gebraucht hat, um den Fluß zu überspannen. Aber noch einmal: Im Frühjahr, nach der Schneeschmelze, sehen der Fluß und daher auch die Brücke wohl ganz anders aus.
Im übrigen ist Santo Domingo eine muntere kleine Stadt, in der man gerne einen oder zwei Tage bleibt. Uns hat es nach der zweiten Nacht weitergezogen, und wir haben von Schwester Purificación versöhnt und herzlich Abschied genommen. Besonders hat uns dabei der 40prozentige Pilgerrabatt auf der Hotelrechnung berührt. Je mehr man sich Santiago nähert, desto stärker scheint das Bewußtsein des Pilgerweges in der Bevölkerung zu leben.
Armes Dorf in epischer Landschaft
41. Tag: Von Santo Domingo nach Belorado
Von Santo Domingo nach Belorado steigt der Weg ganz allmählich auf 800 Meter Meereshöhe. Auf der Landstraße wären es 21 Kilometer, und der Führer verspricht nichts Gutes. Der markierte Weg folgt ihr fast auf der ganzen Länge. Wir müssen Alternativen suchen.
Vorderhand versuchen wir es auf den Feldern am Straßenrand. Sie sind zum guten Teil abgeerntet, und wir gehen am besten auf den Spuren der Traktoren, die die Stoppeln niedergewalzt haben. Aber die unbebauten Felder mit ihren Disteln und ihrem hohen Unkraut und die gepflügten Felder mit ihren holprigen Furchen und Schollen treiben uns immer wieder auf die Landstraße zurück.
Nach einer knappen Stunde zweigt endlich der alte Weg von der Autostraße ab, und wir kommen durch das Städtchen Grañón. Heute ist es noch ein stattliches Dorf, dessen zusammengebaute Häuser mit ihren in Stein gehauenen Wappen allein noch an die städtische Vergangenheit erinnern. Dann geht es durch ein leicht gewelltes Gelände nach Redecilla del Camino, das schon in Aimerics Pilgerführer erwähnt ist. Im 12. Jahrhundert hat es noch Radicella geheißen. Wir fragen beim jungen Geistlichen des Ortes nach dem Kirchenschlüssel, denn der romanische Taufstein gilt als kunsthistorisches Juwel. Er begleitet uns selbst zur Kirche, allerdings nicht de bon cœur. Aber was für ein Taufstein! An seiner Außenwand sind die Mauern, Erker und Türme des himmlischen
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