Santiago, Santiago
entfernt. Santo Domingo ist indessen ein interessanter Ort, an dem man seit alters gerne Pause gemacht hat. Wir werden sehen, warum.
Also weiter, zum heiligen Dominik. Der Weg hinter Nájera hat sich wohl über Jahrhunderte kaum verändert. Wenn man einmal am Kloster Santa María vorbei ist, steigt die Straße gegen einen Einschnitt in den Felsen auf. Wir sehen im Halbdunkel des Morgens alte ein- bis zweistöckige Vorstadthäuser mit kleinen Fenstern. Links von uns zieht sich ein Bachbett mit Geschiebe und Gestrüpp gegen den Wald hinauf. Der Weg selbst ist von Wasserrinnen zerfurcht und viel zu steil, als daß man hier eine moderne Straße hätte anlegen können — zu unserem Glück. Es ist ganz sicher der historische Jakobsweg. Nach der Lücke schlängelt er sich wie am vorangehenden Tag in vielen Windungen durch die Reben.
Ein trüber Tag kündigt sich an; die hohen Berge im Süden sind tief mit Wolken verhangen. Während einer guten Stunde wandern wir in vollkommener Einsamkeit. Wir haben seit Tagen keinen Pilger mehr gesehen, und auch in den Rebbergen ist niemand an der Arbeit. Es ist im hiesigen Rebbau nicht anders als in der übrigen Landwirtschaft: der Großteil der Arbeit wird mechanisch ausgeführt, das geht schnell, und sobald sie abgeschlossen ist, sieht man niemanden mehr draußen.
Im Dorf Azofra arbeiten die Menschen allerdings in ihren Gärten. Hier herrscht eine Atmosphäre der aufgeräumten Tätigkeit, die gar nicht so verschieden von dem ist, was man bei uns an einem Samstagvormittag beobachten kann. Der Dorfplatz ist mit Fliesen ausgelegt und makellos sauber. Aus einem vierröhrigen Brunnen fließen Ströme frischen Wassers. Ein Azofraner hat unter uns Alemannen des 20. Jahrhunderts allerdings wohl nur wenige Gesinnungsgenossen. Seine Gartenmauer ist mit barocken Türmchen verziert, und an der Hausfront ist in eine schöne Tafel eingemeißelt: Por mi Rey — Für meinen König.
Auch heute bleibt uns der Straßenmarsch nicht erspart. Wir kennen keine Alternative für den Aufstieg auf die Hochebene von Santo Domingo. Unser Trost: hier blühen die Wegwarten und die gelben Disteln in leuchtender Fülle. So unempfindlich gegen den vorbeibrausenden Verkehr sind wir nicht. Sobald wir die Höhe der Ebene erreicht haben, versuchen wir der Straße zu entrinnen, die gelben Zeichen mißachtend, die uns weitere sieben Kilometer auf ihrem Asphalt vorschlagen.
Vorerst scheint das leicht möglich. Hier oben dehnen sich unendliche abgeerntete Getreidefelder. So tun wir es einer Schafherde und ihrem Hirten gleich, die langsam über die Ebene ziehen, und wandern neben der Straße auf den Stoppelfeldern. Diese sind mit niedrigen roten Mohnblumen übersät, und dazwischen sprießt einiges Grün, dem die Tiere nachgehen. Weit in der Ferne sehen wir schon die Dächer von Santo Domingo. Der hohe Turm der Kathedrale ragt aus ihrer Mitte hervor. Dahinter der weite Sattel, der ganz allmählich auf 900 Meter ansteigt und nach Burgos hinüberführt. Gemäß der Karte müßten wir in den Feldern links der Straße noch Spuren des alten Weges antreffen. Aber wie ich auch spähe: nichts als Ackerfläche. Das ist die Flurbereinigung und die Kraft der modernen Pflüge, die einen jahrhundertealten Weg ganz einfach zum Verschwinden gebracht haben.
Das Wandern auf einer weiten Ebene hat seinen Reiz. Es ist das Gehen in weiten Räumen, das Gefühl für ihre Tiefe, und für einen Himmel, der an den Horizont vor uns hinunterreicht. Weiße Wolken ziehen uns entgegen. Ganz allmählich erkennen wir die Einzelheiten der Häuser von Santo Domingo. Der Turm ist ein kunstvolles Werk der Barockarchitektur, aus warmem rotem Stein.
Zu unseren Füßen komplizieren sich jedoch die Verhältnisse. Je näher wir auf die Stadt zukommen, um so häufiger tauchen riesige Kartoffeläcker auf, die einen schon abgeerntet und umgepflügt, die anderen noch mit den reifenden Früchten zwischen den Furchen. Da wie dort kommen wir nur noch schlecht vorwärts. Hinzu kommt das schlechte Gewissen, durch bebaute Felder zu gehen. So weichen wir auf eine kleinere, nach der Stadt hinführende Straße aus und beenden die Etappe nun doch noch mit einem langen Marsch auf dem heißen Asphalt.
Endlich sind wir in der Stadt. Wo unterkommen? Es gibt da einen Parador, das ist ein staatliches Nobelhotel. Es ist zwar in einer alten Pilgerherberge eingerichtet, aber wir wissen von einem früheren Besuch, daß nur noch einige gotische Bögen an die interessante Vergangenheit des
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