Santiago, Santiago
kennen sich noch. Der Barmann des Hotels, der auch den Empfang macht, weist uns auf eine andere Gaststätte hin, deren junge Wirtin soeben eine Wohnung gekauft habe und Zimmer für die Nacht vermiete. So ist es auch. Zwar besteht das gesamte Mobiliar aus einem französischen Bett und einem Stuhl, diese und das Badezimmer sind jedoch blitzsauber; was es sonst noch braucht, haben wir im Rucksack. Wir verbringen eine gute Nacht in der Hauptstadt des Leders.
Die Herberge von Pater José María
42. Tag: Von Belorado nach San Juan de Ortega
Wir beginnen den Tag etwas später als sonst, denn wir wollen Christine, unserem jüngsten Kind, ein Geburtstagstelegramm nach Hause schicken, und die Post öffnet erst um acht Uhr. Der Posthalter freut sich über den Auftrag, ein langes, deutschsprachiges Telegramm weiterzuleiten, und er hilft uns gerne, das Unternehmen zu einem guten Ende zu führen. Wir sind dankbar für seine Hilfsbereitschaft, denn in einem fremden Land erfordern auch so einfache Dinge wie das Aufgeben eines Telegramms viel Suchen und Fragen.
Hinter Belorado verengt sich das Tal. Zum Glück verlaufen die Autostraße auf der einen und der alte Weg, dem wir folgen, auf der anderen Seite des Tales. Dieser ist von Brombeersträuchern, Heckenrosen und Disteln gesäumt. Das Niederholz kommt schon nahe an den Weg heran. Im schmalen Talgrund liegen Getreide- und Kartoffeläcker. Der Bach fließt zwischen Gebüsch, Laubbäumen und Pappeln. Frauen in Kopftüchern lesen Kartoffeln auf, volle Säcke stehen auf den Feldern. Der Weg steigt sanft an und führt flüssig vorwärts.
Nach zweieinhalb Stunden sind wir in Villafranca de Oca, am Rande der berühmten und gefürchteten Montes de Oca. Der Name »Frankenstadt« verrät, daß hier nach der Vertreibung der Mauren Leute von jenseits der Pyrenäen angesiedelt worden sind. Von »Franzosen« zu sprechen, wäre allerdings nicht am Platz, denn eine französische Nation gab es damals noch nicht, und der Süden dieses Landes war von Paris noch unabhängig. Seine Sprache war auch nicht das nördliche Französisch, sondern das Okzitanische des Südens.
Es ist Mittag, und wir wissen, daß es nun während der nächsten Wegstunden weder Laden noch Gaststätte gibt. Wir müssen die Wälder der Ocaberge durchqueren. Wir werden in einer Pilgerunterkunft nächtigen, in der man sich, wie in den meisten spanischen Herbergen der Vergangenheit, selbst verpflegen muß. Also ergänzen wir unsere Vorräte in der »Handlung« von Villafranca. Sie ist zugleich »Bar«, und es gibt da außer der Theke auch einen kleinen Tisch und zwei Taburette. Wir kaufen uns bei der Wirtin und Handelsfrau auch einen Liter »Mosto«, Traubensaft, bekommen zwei Gläser und verzehren unsere Brote dazu.
Zwei Lastwagenfahrer und ein Einheimischer mit Baskenmütze trinken an der Theke ihr Glas Wein und werfen von Zeit zu Zeit einen verstohlenen Blick zurück auf uns Fremde. Dann kommt eine Frau, die Nähgarn kauft, später ein Mann, der eine Scheibe luftgetrockneten Schinken verlangt. Die Wirtin nimmt den Schinken vom Haken, schneidet die Tranche ab, schätzt das Gewicht und nennt einen Preis. Es geht auch ohne Waage.
Villafranca war um das Jahr 1000 Bischofssitz, heute ist es ein Dorf von etwa 200 Einwohnern. Die Straße steigt an der Flanke des Tales langsam an. Der alte Weg gewinnt die Höhe unmittelbar hinter dem Dorf. Man spürt sein Alter: ein Belag von runden Bachsteinen, der Verlauf zwischen den alten Häusern und ihren Gärten, die Mauern, die ihn begrenzen, der steile, aber für den Fußgänger natürliche Verlauf. Dann kommen wir auf die Wiesen hinaus, Baumgruppen säumen den Weg, und wir sehen schon in das Tal zu unserer Linken hinunter und hinüber auf die hohen Berge im Süden.
Es ist kein heißer Tag, Sonne und Wolken wechseln am Himmel. Der Anstieg wird sanfter, und wir nähern uns dem Wald von Oca. Von Zeit zu Zeit erkennen wir noch Gemäuer von längst verschwundenen Häusern, und wir kommen an einem Bauernhof vorbei. Jetzt nehmen die Eichen und der Wacholder überhand, am Boden leuchtet violettes Heidekraut. Es gelingt mir, abseits des Weges die berühmte Quelle »Mojapan« zu finden, an der die Pilger über Jahrhunderte ihr trockenes Brot (pan) zum Benetzen (mojar) ins Wasser getaucht haben. Heute ist sie gefaßt, und eine Leitung führt ihr Wasser ab.
Wir steigen weiter durch den Wald. Die Bäume sind jetzt junge Pinien von frischer grüner Farbe, offensichtlich von einer Aufforstung. So kommen
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