Saphirblau
nicht schlecht.
»Eine Soiree ist eine schnarchige Abendveranstaltung«, fuhr Xemerius fort. »Nur, falls du es nicht weißt. Man hockt nach dem Souper zusammen, spielt sich gegenseitig ein bisschen was auf dem Pianoforte vor und versucht, nicht einzuschlafen.«
»Ah, danke!«, sagte ich.
»Ich kann noch immer nicht glauben, dass sie das wirklich riskieren wollen«, sagte Charlotte, während sie ihren Mantel über einen Stuhl hängte. »Es widerspricht doch allen Regeln der Geheimhaltung, Gwendolyn unter Leute gehen zu lassen. Man muss sie nur ansehen und schon merkt man, dass mit ihr etwas nicht stimmt.«
»Ja, mein Gedanke!«, rief Plusterlippe. »Aber der Graf ist ja bekannt für seine exzentrischen Launen. Dort vorne liegt ihre Legende. Haarsträubend - lies sie dir bitte mal durch.«
Meine was, bitte schön? Legenden hatte ich bislang ins Reich der Märchen verbannt. Oder auf Landkarten.
Charlotte blätterte in einer Mappe, die auf dem Flügel lag. »Sie soll das Mündel Viscount Battens darstellen? Und Gideon ist sein Sohn? Ist das nicht ein wenig riskant? Es könnte doch jemand anwesend sein, der den Viscount und seine Familie kennt. Warum hat man sich nicht für einen französischen Vicomte im Exil entschieden?«
Giordano seufzte. »Das ging ja nicht wegen ihrer mangelnden Sprachkenntnisse. Wahrscheinlich möchte der Graf uns einfach auf die Probe stellen. Wir werden ihm beweisen müssen, dass es uns gelingt, aus diesem Mädchen eine Dame des 18. Jahrhunderts zu zaubern. Wir
müssen
einfach!« Er rang die Hände.
»Ich finde, wenn sie das mit Keira Knightley geschafft haben, dann kriegt man das auch mit mir hin«, sagte ich zuversichtlich. Keira Knightley war ja wohl so ziemlich das modernste Mädchen der Welt und trotzdem immer ganz wunderbar in Kostümfilmen, sogar mit den beklopptesten Perücken.
»Keira Knightley?« Die schwarzen Augenbrauen berührten nun beinahe den toupierten Haaransatz. »Für einen Film mag das ja angehen, aber Keira Knightley wäre keine zehn Minuten im 18. Jahrhundert, da hätte man sie schon als moderne Frau entlarvt. Schon, wie sie beim Lächeln immer ihre Zähne zeigt, beim Lachen den Kopf nach hinten wirft und den Mund aufreißt! Das hätte im 18. Jahrhundert keine Frau getan!«
»So genau können Sie das doch auch nicht wissen«, sagte ich.
»Wie war das, bitte?«
»Ich sagte, so genau können . . .«
Plusterlippes Augen funkelten mich an. »Wir sollten gleich einmal die erste Regel festlegen, die da wäre: Was der Meister sagt, wird nicht infrage gestellt.«
»Und wer ist der Meister - oh, verstehe, Sie sind das«, sagte ich und wurde ein bisschen rot, während Xemerius losgackerte. »Okay. Also beim Lachen nicht die Zähne zeigen. Habe ich mir gemerkt.« Das würde ich wohl leicht hinkriegen. Schwer vorstellbar, dass ich bei der/die/das Soiree irgendeinen Grund zum Lachen finden würde.
Meister Plusterlippe fuhr einigermaßen beschwichtigt seine Augenbrauen wieder ein, und da er Xemerius ja nicht hören konnte, der von der Decke laut »Knallkopf!« brüllte, begann er nun mit der traurigen Bestandsaufnahme. Er wollte wissen, was ich in Sachen Politik, Literatur, Sitten und Gebräuche über das Jahr 1782 wusste und meine Antwort (»Ich weiß, was es da alles
nicht
gab - zum Beispiel automatische Wasserspülungen auf dem Klo und das Wahlrecht für Frauen«) ließ ihn für ein paar Sekunden sein Gesicht in den Händen vergraben.
»Ich bepiss mich hier oben gleich vor Lachen«, sagte Xemerius und leider, leider steckte er mich allmählich an. Nur mit Mühe konnte ich das Gelächter unterdrücken, das sich aus der Tiefe meines Zwerchfelles nach oben drängte.
Charlotte sagte sanft: »Ich dachte, sie hätten dir erklärt, dass sie wirklich
absolut
unvorbereitet ist, Giordano.«
»Aber ich . . . wenigstens die Grundlagen . . .« Das Gesicht des Meisters tauchte aus seinen Händen empor. Ich wagte nicht hinzuschauen, denn wenn das Make-up jetzt verwischt war, würde es um mich geschehen sein.
»Wie steht es um deine musikalischen Fertigkeiten? Klavier? Gesang? Harfe? Und wie sieht es mit Gesellschaftstanz aus? Ein simples
Menuett ä deux
wirst du wohl beherrschen, aber was ist mit den anderen Tänzen?«
Harfe? Menuett ä deux? Klar doch! Jetzt war es um meine Selbstbeherrschung geschehen, ich begann, haltlos zu kichern.
»Schön, dass sich hier wenigstens einer amüsiert«, sagte Plusterlippe fassungslos, und das dürfte wohl der Moment gewesen sein, in dem er
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