Saphirblau
einen Moment ganz sprachlos vor Entzücken war. Leider strahlten sie aber auch viele fremde Menschen an und in mein Staunen (ich presste, Giordanos Ermahnungen im Kopf, meine Lippen fest zusammen, damit mein Mund nicht aus Versehen offen stehen blieb) mischte sich jetzt wieder die Angst. Das sollte eine kleine, intime Abendgesellschaft sein? Wie sah dann bloß erst der Ball aus?
Ich kam nicht dazu, mir einen genaueren Überblick zu verschaffen, denn Gideon zog mich schon unerbittlich in die Menge. Viele Augenpaare musterten uns neugierig und einen Augenblick später eilte eine kleine, rundliche Frau auf uns zu, die sich als Lady Brompton entpuppte.
Sie trug ein samtbesetztes hellbraunes Kleid und ihr Haar war unter einer voluminösen Perücke verborgen, die, wenn man die vielen Kerzen hier bedachte, ungeheuer brandgefährlich aussah. Unsere Gastgeberin hatte ein nettes Lächeln und sie begrüßte uns herzlich. Ganz automatisch versank ich in eine Reverenz, während Gideon die Gelegenheit nutzte, mich allein zu lassen, beziehungsweise ließ er sich von Lord Brompton weiterziehen. Ehe ich noch entscheiden konnte, ob ich nun darüber sauer sein sollte, hatte mich Lady Brompton schon in ein Gespräch verwickelt. Glücklicherweise fiel mir genau im richtigen Moment der Name des Ortes wieder ein, in dem ich - beziehungsweise Penelope Gray - lebte. Durch ihr begeistertes Nicken ermutigt, versicherte ich Lady Brompton, dass es dort zwar friedlich und ruhig sei, es aber an gesellschaftlicher Zerstreuung fehle, die mich hier in London schier überwältigen würde.
»Das werdet Ihr sicher nicht mehr denken, wenn Genoveva Fairfax auch heute wieder ihr gesamtes Repertoire auf dem Pianoforte zum Besten geben darf.« Eine Dame in einem primelfarbenen Kleid trat zu uns. »Im Gegenteil, ich bin mir ziemlich sicher, dann werdet Ihr Euch nach den Zerstreuungen des Landlebens zurücksehen.«
»Pssst«, machte Lady Brompton, aber sie kicherte dabei. »Das ist ungezogen, Georgiana!« Wie sie mich so verschwörerisch anstrahlte, kam sie mir plötzlich ziemlich jung vor. Wie war sie nur an diesen fetten alten Sack geraten?
»Ungezogen vielleicht, aber wahr!« Die Dame in Gelb (selbst im Kerzenlicht eine so unvorteilhafte Farbe!) teilte mir mit gesenkter Stimme mit, dass ihr Gatte bei der letzten Soiree eingeschlafen sei und laut zu schnarchen angefangen habe.
»Das kann heute nicht passieren«, versicherte mir Lady Brompton. »Wir haben doch den wunderbaren, mysteriösen Grafen von Saint Germain zu Besuch, der uns nachher noch auf seiner Violine beglücken wird. Und Lavinia kann es gar nicht erwarten zu singen, im Duett mit unserem Mr Merchant.«
»Dazu musst du ihm aber erst noch ordentlich Wein einflößen«, sagte die Dame in Gelb, lächelte mich breit an und zeigte dabei ganz offen ihre Zähne. Ich lächelte automatisch genauso breit zurück. Ha! Ich hatte es ja gewusst. Giordano war nichts als ein mieser Wichtigtuer!
Irgendwie waren die sowieso viel lockerer drauf, als ich gedacht hatte.
»Das ist ein reiner Balanceakt«, seufzte Lady Brompton und ihre Perücke zitterte ein wenig. »Zu wenig Wein und er wird nicht singen, zu viel und er singt unanständige Seemannslieder. Kennt Ihr den Grafen von Saint Germain, meine Liebe?«
Sofort wurde ich wieder ernst und schaute mich unwillkürlich um. »Ich wurde ihm bereits vor ein paar Tagen vorgestellt«, sagte ich und unterdrückte ein Zähneklappern. »Mein Ziehbruder ... ist mit ihm bekannt.« Mein Blick fiel auf Gideon, der in der Nähe des Kamins stand und gerade mit einer zierlichen jungen Frau in einem umwerfend schönen grünen Kleid sprach. Sie sahen aus, als ob sie sich schon länger kennen würden. Auch sie lachte so, dass man ihre Zähne sehen konnte. Es waren schöne Zähne, keine verfaulten lückenhaften Stumpen, wie Giordano es mir hatte weismachen wollen.
»Ist der Graf nicht einfach unglaublich? Ich könnte ihm stundenlang zuhören, wenn er erzählt«, sagte die Dame in Gelb, nachdem sie mir erklärt hatte, dass sie Lady Bromptons Cousine war. »Vor allem die Geschichten aus Frankreich liebe ich!«
»Ja, die
pikanten
Geschichten«, sagte Lady Brompton. »Die sind natürlich nichts für die unschuldigen Ohren einer Debütantin.«
Ich suchte mit den Augen den Raum nach dem Grafen ab und fand ihn in einer Ecke sitzend, im Gespräch mit zwei weiteren Männern. Von Weitem wirkte er elegant und alterslos, und als ob er meine Blicke gespürt hätte, richtete er seine
Weitere Kostenlose Bücher