Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Saphirblau

Saphirblau

Titel: Saphirblau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
Vom Netzwerk:
unhöflich. Also lächelte ich ihn an und sagte: »Oh, vielen Dank, sehr freundlich. Das hatte ich gar nicht bemerkt.«
    Mr Merchant verneigte sich. »Immer zu Euren Diensten, Madam.« Unfassbar, wie dreist er war. Aber in Zeiten, in denen Frauen kein Wahlrecht besaßen, musste man sich ja nicht wundern, wenn es ihnen gegenüber auch sonst an Respekt fehlte.
    Das Geplauder und das Lachen verstummten nach und nach, als Miss Fairfax, eine dünnnasige Person in einem schilfgrünen Kleid, zum Pianoforte trat, sich niederließ, ihre Röcke ordnete und in die Tasten griff. Sie spielte nicht mal schlecht. Das Einzige, das ein wenig störte, war ihr Gesang. Er war unglaublich ... hoch. Noch ein klitzekleines bisschen höher und man hätte sie für eine Hundepfeife halten können.
    »Erfrischend, nicht wahr?« Mr Merchant sorgte dafür, dass mein Glas wieder aufgefüllt wurde. Zu meiner Verblüffung (und irgendwie auch Erleichterung) grapschte er Lady Brompton ebenfalls ganz unverblümt an den Busen, unter dem Vorwand, sie habe dort ein Haar. Lady Brompton schien das nicht weiter zu stören, sie schalt ihn lediglich einen Lüstling und schlug ihm mit ihrem Fächer auf die Finger (Aha! Dafür waren die Fächer also wirklich gemacht!), und dann nahmen sie und ihre Cousine mich mit zu einem blau geblümten Sofa, das in der Nähe der Fenster stand. Sie platzierten mich in ihrer Mitte.
    »Hier seid Ihr vor klebrigen Fingern sicher«, sagte Lady Brompton und tätschelte mütterlich mein Knie. »Nur Eure Ohren sind noch in Gefahr.«
    »Trinkt!«, riet mir die Cousine leise. »Ihr werdet es brauchen! Miss Fairfax hat gerade erst angefangen.«
    Das Sofa fühlte sich ungewohnt hart an und die Rückenlehne war so ausladend, dass man sich unmöglich dagegenlehnen konnte, es sei denn, ich wollte mitsamt meiner vielen Röcke in seinen Untiefen versinken. Ganz offensichtlich waren Sofas im 18. Jahrhundert nicht zum Herumgammeln gebaut worden.
    »Ich weiß nicht - ich bin Alkohol nicht gewöhnt«, sagte ich zögernd. Meine einzige Erfahrung mit Alkohol lag genau zwei Jahre zurück. Es war auf einer Pyjamaparty bei Cynthia gewesen. Einer ganz harmlosen Party. Ohne Jungs, dafür mit Chips und »High-School-Musical«-DVDs. Und einer Salatschüssel voller Vanilleeis, Orangensaft und Wodka . . . Das Gemeine an dem Wodka war, dass man ihn wegen all des Vanilleeises gar nicht herausschmecken konnte, und offensichtlich hatte dieses Zeug auf jeden eine andere Wirkung. Während Cynthia nach drei Gläsern die Fenster aufriss und laut »Zac Efron, ich liebe dich!« durch Chelsea brüllte, hatte Leslie mit dem Kopf über der Kloschüssel gehangen und sich übergeben, Peggy hatte Sarah eine Liebeserklärung gemacht (»du bisso sssön, heirate miss«) und Sarah hatte einen Heulkrampf bekommen, ohne zu wissen, warum. Bei mir war es am schlimmsten gewesen. Ich war auf Cynthias Bett herumgesprungen und hatte in einer Art Endlos-Schleife
Breaking free
gegrölt. Als Cynthias Vater ins Zimmer gekommen war, hatte ich ihm Cynthias Haarbürste als Mikro hingehalten und gerufen: »Sing mit, Glatzkopf! Schwing deine Hüften.« Auch wenn ich es mir am nächsten Tag absolut nicht mehr erklären konnte.
    Nach dieser etwas peinlichen Geschichte hatten Leslie und ich beschlossen, von nun an einen weiten Bogen um Alkohol zu machen (und ein paar Monate lang auch um Cynthias Vater), und wir hatten uns seitdem konsequent an diesen Vorsatz gehalten. Auch wenn es manchmal seltsam war, sich als Einziger nüchtern unter lauter Saufnasen aufzuhalten. Wie jetzt zum Beispiel.
    Von der gegenüberliegenden Seite des Raumes fühlte ich wieder den Blick des Grafen von Saint-Germain auf mir ruhen und mein Nacken kribbelte unangenehm.
    »Man sagt, er verstünde sich in der Kunst des Gedankenlesens«, wisperte Lady Brompton neben mir, und da beschloss ich, das Alkoholverbot vorübergehend aufzuheben. Nur für heute Abend. Und nur für ein paar Schlucke. Um meine Angst vor dem Grafen von Saint Germain zu vergessen. Und vor allem anderen.
    Lady Bromptons Spezialpunsch wirkte verblüffend schnell, nicht nur bei mir. Nach dem zweiten Glas fanden alle den Gesang schon deutlich weniger schrecklich, nach dem dritten begannen wir, mit den Füßen im Takt mitzuwippen, und ich war der Ansicht, noch niemals auf so einer netten Party gewesen zu sein. Wirklich - die Leute waren hier viel lockerer, als ich gedacht hatte. Lockerer als im 21. Jahrhundert, wenn man es genau nahm. Und die Beleuchtung war

Weitere Kostenlose Bücher