Saphirtraenen (Gesamtausgabe)
Edans Augenwinkel eine winzige Träne schillern zu sehen, die er schnell wegblinzelt.
Mit einem prüfenden Blick in den Himmel stelle ich fest, dass die Sonne ihren Höchststand schon vor einiger Zeit verlassen haben muss. Scheinbar habe ich dem Irai länger gelauscht, als mir bewusst war.
Ich stehe auf und strecke mich ausgiebig. Meine geschundenen Muskeln protestieren heftig. Bevor ich aufsitze, schwanke ich zum Bach und nehme noch einige kräftige Schlucke. Sobald wir im Wald ankommen, fliehe ich, finde den Ring und flüchte zu den Meer-Ilyea.
Edan reicht mir eine Hand und zieht mich auf das Pferd. Während der Wind durch meine Haare streift und ich mich an Edans Umhang festklammere, fixiere ich den Wald am Horizont. Nach kurzer Zeit gebe ich diese Haltung auf, da der grüne Streifen nur unmerklich größer wird.
Der Rest der Reise verläuft ereignislos. Während der Wald näher kommt, verändert sich die Landschaft: Immer weniger Felder und Dörfer kreuzen unseren Weg, mehr Buschwerk und Baumgruppen zieren die Umgebung. Vereinzelnde Hasen und Rehe suchen Schutz, als sie uns sehen.
Die Vorfreude, die ich bei ihrem Anblick verspürte, ist nichts im Vergleich zu dem, was ich jetzt fühle, als ich in den Schatten des Waldes trete. Edan bleibt im gebührenden Abstand hinter mir, nah genug, damit ich nicht fortlaufen kann.
Ein wohliger Schauer lässt mich erzittern. Knisterndes Laub unter meinen Füßen. Frischer Holzgeruch in der Luft. Zwitschernder Vogelgesang an meinem Ohr. Ich schließe die Augen und atme tief ein.
Hinter mir pfeift Edan schrill. Mit weit aufgerissenen Augen drehe ich mich zu ihm um, doch er bedeutet mir, wieder zwischen die Bäume zu blicken.
Während ich angestrengt in das Grün starre, bewegt sich plötzlich etwas.
Ein langer, schuppiger Körper, gestützt von acht kräftigen, klauenbewährten Beinen, schiebt sich in mein Sichtfeld. Braungrüne Schuppen blitzen im Sonnenlicht wie stilles Wasser. Da die Glieder seitlich des Körpers sitzen, ist der Bauch des Tieres dem Boden so nah, dass nicht einmal meine Hand dazwischen gepasst hätte. Ich fröstle, als ich Höhe und Länge des Tieres einschätze. Von Grund des Bodens bis zu den muskulösen Schultern scheint das Tier doppelt so groß wie ich zu sein. Die Entfernung von der schuppigen Schwanzspitze bis zum keilförmigen Kopf ist länger als fünfzehn Pferde hintereinander. Automatisch wandert mein Blick nach oben. Ein grünes Auge mit einer schlitzartigen Pupille sieht mich erwartungsvoll an und ein leises Zischeln erklingt.
„Was...ist das?“, stottere ich ängstlich.
„Ein “, entgegnet Edan und lächelt.
„Auf so einem Wesen haben wir dich zur Burg transportiert. Sie sind wesentlich schneller als Pferde, gehorchen allerdings nur Dämonen, weswegen das gemeine Volk sie nicht einsetzt. Sie sind ebenfalls mit dem Feuer verbunden.“
Auf dem Rücken des Lith befindet sich eine komplizierte Lederkonstruktion, unterteilt in knapp 20 Partien. Die krallenbesetzten Klauen des Tieres scharren nervös über den Boden. Bei der Bewegung wird die Kraft seiner Schultermuskeln furchteinflößend offenbar.
Ohne zu zögern schwingt sich Edan auf den Rücken des Ungeheuers.
„Darf ich bitten?“
Panisch weiche ich zurück und stolpere über eine Wurzel. So hatte ich mir die Weiterreise nicht vorgestellt.
„Stell dich nicht so an, Prinzessin.“
Ich schließe die Augen, strecke meine Hand aus und lasse mich auf den Rücken des Lith ziehen. Der Halbdämon schnalzt mit der Zunge und das Tier reitet los. Zweige knacken, Wind fährt unsanft in mein Gesicht und zwingt mich, die Augen weiterhin geschlossen zu halten. Meine Hände krallen sich krampfhaft in das lederne Geschirr. Eins ist mir klar: Meine Fluchtpläne werde ich fürs Erste verwerfen müssen.
Teil 2
Glitzernde Tautropfen zieren die Grashalme. Enya seufzt wohlig und fährt mit ihrer Hand durch die feuchte Wiese. Das Lied des Wassers ist in den Morgenstunden besonders kraftvoll, wenn die Luft von dem kühlen Element gesättigt ist.
Der Tau bleibt an Enyas Hand haften und entlockt ihr ein leises Kichern.
„Enya! Wo bist du denn schon wieder?“
Obwohl die Worte gedämpft klingen, bringen die magischen Schwingungen sie sicher an ihr Ziel.
Mit anmutiger Leichtigkeit erhebt sich die Meer-Ilyea. Türkisfarbene Augen blitzen vor Freude auf und übermütig dreht sie sich einmal herum. Ihre rückenlangen, seidigen Haare wehen im Wind und funkeln
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