Saphirtraenen (Gesamtausgabe)
verführerisch. Das Wasser lässt sein Kind strahlen, als wäre es über und über mit Diamanten verziert.
Die junge Ilyea ist sich ihrer Schönheit bewusst und weiß, wie sie diese gezielt einsetzen kann. Auch, wenn sie in diesem Moment von niemandem beobachtet wird, bewegt sie sich, als wären tausend Augenpaare auf sie gerichtet.
Sie streift ihr strahlend blaues Kleid glatt und rennt zurück ins Dorf. Glitzernde Kuppeln empfangen sie. Da Meer-Ilyea keine Geheimnisse voreinander haben, sind die Wände ihrer Häuser ein wenig durchsichtig, wie ein sprudelnder Bach. So erkennt Enya sofort, aus welchen der unzähligen Kuppeln die Stimme kam, die ihren Namen rief. Die Umrisse ihres Vaters würde sie überall wiedererkennen. Zielsicher steuert sie auf die größte Kuppel des Dorfes zu und tritt durch den kühlen Vorhang aus rauschendem Wasser, im Inneren herrscht eine angenehme Temperatur.
„Du hast gerufen?“
Tiefblaue Augen, eingebettet in ein Gesicht mit hohen Wangenknochen und einem markanten Kinn, ruhen auf Enya. Eine weißblaue Haarmähne, durchzogen von dunkelbraunen Strähnen rundet das wilde Kriegeraussehen des Meer-Ilyea ab.
Langsam wird Enya unruhig, so lange hat der Dorfälteste Niall noch nie geschwiegen.
„Vater?“
Selbst die Stimme der jungen Ilyea klingt leicht und melodisch. Die schräg stehenden, buschigen Augenbrauen ihres Vaters lassen sie nichts Gutes erahnen. Er trägt eine glänzende Metallrüstung, die mit verschnörkelten Ornamenten verziert ist.
„Die Dämonen haben sich auf die Suche gemacht. Sie wollen die Schmuckstücke finden. Alle. Unser Diadem ist in Gefahr.“
Die donnerte Stimme und die Bedeutung der Worte lassen Enya die Haare zu Berge stehen.
„Was soll ich tun?“
Gehorsam kniet die junge Meer-Ilyea nieder. Ohne Zögern würde sie sterben, um den Saphir zu schützen. Das verlangt nicht nur der Eid, den sie geschworen hat, sondern auch ihre Ehre. Als Tochter und Nachfolgerin des Dorfältesten ist ihr ganzes Leben dem Schutz des wertvollen Diadems gewidmet, da nur Mitglieder ihrer Familie das Schmuckstück berühren können. Dieser besondere Schutzzauber wurde vor vielen Jahrhunderten von jenem Herrscher ausgesprochen, der auch dafür sorgte, dass die Zauber, welche das Dorf hüten, an das älteste Mitglied der adeligen Familie geknüpft sind, sodass dieses seinen Platz niemals verlassen kann. Der Grund, warum es Niall nicht möglich ist, selbst zu gehen. Alles nur, weil ein paranoider Dorfältester einen Umsturz der Machtverhältnisse befürchtete.
„Mein liebes Kind, ich weiß, dass du für unser Volk alles opfern würdest.“
Überrascht hebt Enya den Kopf und blickt ihrem Vater in das ernste Gesicht.
„Ich verlange nicht alles und doch viel von dir: Reise zum Diadem und bringe es in Sicherheit. Sein aktuelles Versteck scheint mir nicht mehr sicher genug zu sein.“
„Sehr wohl, Vater.“
Erleichterung durchströmt das junge Wesen. Auch, wenn sie verpflichtet ist, alles zu geben, ist ihr das eigene Leben zu wichtig, um es leichtfertig wegzuwerfen.
Enya erhebt sich und möchte die Kuppel verlassen, aber Niall ruft sie zurück:
„Danach wirst du zu den anderen Ilyeavölkern reisen und diese verständigen.“
Die junge Meer-Ilyea hält erschrocken inne. Nur einmal zuvor hat jemand ihres Dorfes die sicheren Inseln verlassen. Auf dem großen Festland ist das Meer weit entfernt, was früher oder später den Wahnsinn für jede Meer-Ilyea bedeutet. Süßwasser kann den salzigen Geruch und den melodischen Gesang des Meeres nicht ersetzen.
Entsetzt wirbelt sie herum, ihr Gesicht eine Maske des Schreckens.
„Aber Vater! Schon viele Bewohner unseres Dorfes machten sich auf, um das große Land zu sehen, nur du kamst wohlbehalten zurück. Ich...“
Der Dorfälteste hebt gebieterisch eine Hand, was Enya sofort verstummen lässt.
„In dir fließt mein Blut. Ich bin zu alt, um die Reise selbst anzutreten. Wenn jemand die Willensstärke und den Mut besitzt, um diese gefährliche Unternehmung zu wagen und zu bestehen, dann bist du das.“
Das wunderschöne Antlitz der jungen Ilyea verdüstert sich, aber sie widerspricht nicht.
„Ja, Vater“, presst sie hervor.
„Ich werde alle Vorbereitungen treffen, um die Reise so angenehm wie möglich zu gestalten.“
Ein schwacher Trost für Enya, die sich innerlich vom Leben verabschiedet. Äußerlich scheint sie gelassen, aber in ihr tobt ein gewaltiger Sturm. In dieser Beziehung ist sie wie alle Meer-Ilyea: Sie scheint
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