Saphirtraenen (Gesamtausgabe)
gelassen wie die ruhige Meeresoberfläche, doch innerlich befindet sich ein Durcheinander von Gefühlen.
Sie atmet tief ein und fixiert mit ihren türkisfunkelnden Augen Niall, der sie allzu bereitwillig opfern möchte.
„Da ist mehr, nicht wahr?“
Ihr Vater schüttelt den Kopf und bedeutet ihr mit einer Handbewegung, dass sie seine Kuppel verlassen soll. Gehorsam dreht sich Enya um und eilt nach draußen. Als die kühle Luft sie umschließt, atmet sie tief ein, um die aufkeimende Panik zu ersticken. Für eine Meer-Ilyea ihres Ranges geziemen sich unkontrollierte Gefühle nicht.
Die Wendung des Schicksals verfluchend zieht sie sich in ihr eigenes Heim zurück, um die wichtigsten Dinge zu packen. Unter ihrem hölzernen Bett holt sie einen Lederrucksack hervor, in den sie frustriert ihre Habseligkeiten schleudert. Eine Haarbürste, Kleidung, Brot, frisches Obst und einige Silbermünzen sollen die Reise mit antreten.
Unschlüssig hält sie eine silberne Haarspange in der Hand und betrachtet das glänzende Metall. Schließlich entscheidet sie sich dazu, ihre azurblauen Haare zurückzustecken. Mit geschickten Fingern befestigt sie die einzelnen Haarsträhnen und betrachtet sich zuletzt in einer glatten Wasserwand, die direkt neben dem Bett wie ein spiegelnder Wasserfall ruhig dahinfließt. Zufrieden mit dem Ergebnis lässt sie sich auf ihre Schlafstätte fallen. Sie möchte sich ein wenig ausruhen, bevor sie die lange Reise auf sich nimmt.
Obwohl sie so erzogen wurde, dass sie jederzeit für ihr Volk sterben würde, fühlt sie sich unwohl. Opferbereitschaft, Selbstaufgabe und Selbstsicherheit waren die Grundpfeiler ihrer Erziehung. Die Realität, mit der sie konfrontiert wird, bringt diese zum Wackeln. Sie ist zu jung, zu schön und zu besonders, um bei solch einem sinnlosen Unterfangen zu sterben.
Nie zuvor hat Enya jemanden weinen sehen. Nie zuvor hat sie selbst geweint. Aber nun, in der Stille und Einsamkeit ihrer Wasserkuppel rinnt eine einzelne Träne ihre Wange hinab. Der Tropfen schickt traurige Töne in den beginnenden Tag und alle Meer-Ilyea im Dorf vernehmen dieses Lied.
Niall senkt demütig den Kopf und seufzt. Die junge Ilyea ahnt nicht, dass ihre Trauer nur ein Bruchteil des Kummers ist, welchen der Dorfälteste verspürt, da er seine geliebte Tochter auf diese Reise schicken muss.
Dennoch sieht er keine andere Möglichkeit. Er hat einen schwerwiegenden Fehler begangen. Und dieses Vergehen wird vom Schicksal bestraft und fordert seinen Tribut. Er unterdrückt einen gequälten Schrei. Wenn er kein Feigling wäre, könnte er seine Tochter vor alldem bewahren. Aber die Schuld, die er damals auf sich geladen hat, wiegt zu schwer, als dass er sie die ganze Reise ertragen könnte, ohne zu zerbrechen. Eine weitere Träne erblickt das Tageslicht, ihre Töne verweben sich mit dem Wasserlied zu einer harmonischen Melodie.
Enyas Kummer verdeckt die Musik der Träne. Sie hört die Trauer ihres Vaters nicht.
Als sie die Welt um sich herum wieder wahrnimmt, steht die Sonne hoch am Himmel. Die warmen Sonnenstrahlen brechen sich an der Oberfläche der Wasserkuppel und malen helle Lichtpunkte auf die schlafende Meer-Ilyea. Vorsichtig streicht Enya sich ihre azurblauen Haare zurück und blinzelt.
Draußen erkennt sie die Umrisse ihres Vaters und die Silhouette von etwas, was sie zunächst nicht richtig zuordnen kann. Sobald sie sich erhoben und ihren Rucksack geschultert hat, tritt sie durch die Wasserwand.
Das grelle Sonnenlicht blendet sie, sodass sie schützend einen Arm über ihre Augen hält. Weißes, schimmerndes Fell, blähende Nüstern, raschelnde Flügel.
Die junge Ilyea zieht überrascht die Luft ein.
„Ein Pegasus.“
Niall lächelt.
„Die einzige Möglichkeit, um das große Festland schnell zu erreichen. Dachtest du, ich würde dich mit dem Schiff reisen lassen?“
Staunend betrachtet Enya das stolze Geschöpf.
„Ich dachte, sie zeigen sich uns nicht mehr, seitdem die Menschen ihr Einflussgebiet auf dem großen Land ausweiten.“
„Alea ist anders. Während meiner Reise habe ich sie vor den Pegasus-Jägern gerettet. Dafür ist sie mir sehr dankbar und kommt, wann immer ich sie rufe.“
Liebevoll tätschelt der Dorfälteste die Flanke des Tieres. Es wirft den Kopf zurück, sodass seine silberne Mähne das Sonnenlicht einfängt und erstrahlt.
„Sie ist sehr treu. Deswegen solltest auch du ihr gegenüber gewissenhaft und pflichtbewusst handeln. Erweise ihr Respekt, dann wird sie dir
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