Sara Linton 01 - Tote Augen
gefahren ist. Letzten Monat hatte sie ein Stoppschild in einer Schulzone ignoriert. Vor zwei Wochen Verweigerung des Alkoholtests bei einer Verkehrskontrolle, Gerichtsverhandlung steht noch bevor.« Sie blätterte die Seiten durch. » Ihr Register war ziemlich sauber bis vor einem halben Jahr.«
Will kratzte sich abwesend den Unterarm, während er an einer Ampel wartete. » Vielleicht ist irgendwas passiert.«
» Was ist mit diesen Notizen, die Charlie in der Höhle fand?«
»› Ich werde mir nichts versagen ‹ «, zitierte er und nahm den blauen Ordner zur Hand. » Die Blätter werden gerade auf Fingerabdrücke untersucht. Sie stammen aus einem gewöhnlichen Spiralblock, sind mit Bleistift beschrieben, wahrscheinlich von einer Frau.«
Faith schaute sich die Kopie an, derselbe Satz immer und immer wieder, so wie sie es damals in der Junior Highschool oft zur Strafe hatte tun müssen. » Und die Rippe?«
Er kratzte sich noch immer den Arm. » Keine Spur der Rippe in der Höhle oder der direkten Umgebung.«
» Ein Souvenir?«
» Vielleicht«, sagte er. » Jacquelyn hatte keine Schnitte an ihrem Körper.« Er korrigierte sich: » Ich meine, keine tiefen Schnitte, wie Anna sie an der Stelle hatte, wo die Rippe entfernt wurde. Doch beide sahen aus, als hätten sie ansonsten dasselbe durchleiden müssen.«
» Folter.« Faith versuchte, sich in das Denken des Täters hineinzuversetzen. » Er hält eine Frau oben auf der Pritsche gefangen und die andere darunter. Vielleicht tauscht er sie aus – tut Anna was Schreckliches an, nimmt sich dann Jacquelyn vor und fügt ihr dasselbe zu.«
» Und tauschte sie dann wieder aus«, sagte Will. » Also hörte Jacquelyn vielleicht, was Anna mit der Rippe passierte, wusste, was ihr bevorstand, und nagte sich durch das Seil um ihr Handgelenk.«
» Sie muss das Messer gefunden haben, oder sie hatte es unter der Pritsche bei sich.«
» Charlie untersuchte die Unterseite der Latten auf der Pritsche. Er fügte sie in der ursprünglichen Reihenfolge wieder zusammen. Die Spitze eines sehr scharfen Messers ritzte die Mitte jeder Latte, offensichtlich wurde an dieser Stelle das Seil von unterhalb der Pritsche durchgeschnitten, vom Kopf zum Fuß.«
Faith unterdrückte ein Schaudern, als sie das Offensichtliche feststellte. » Jacquelyn lag unter der Pritsche, während Anna verstümmelt wurde.«
» Und sie war höchstwahrscheinlich noch am Leben, als wir den Wald durchsuchten.«
Faith öffnete den Mund, um etwas zu sagen wie: » Das war nicht Ihre Schuld«, aber sie wusste, dass Worte sinnlos waren. Sie hatte selbst ein schlechtes Gewissen, weil sie bei der Suche nicht dabei gewesen war. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie Will sich fühlte, denn immerhin war er im Wald herumgestolpert, während die Frau starb.
Stattdessen fragte sie: » Was ist mit Ihrem Arm?«
» Was meinen Sie?«
» Sie kratzen sich die ganze Zeit.«
Er hielt an und schaute zu den Straßenschildern hoch.
» Hamilton«, las Faith.
Er schaute auf die Uhr, ein Trick, den er benutzte, um rechts von links zu unterscheiden. » Beide Opfer waren vermutlich wohlhabend«, sagte er und bog rechts auf die Hamilton ein. » Anna war unterernährt, aber ihre Haare waren hübsch – die Farbe, meine ich –, und sie hatte sich erst vor Kurzem die Finger maniküren lassen. Der Lack war abgeblättert, aber die Nägel sahen professionell gemacht aus.«
Faith fragte nicht nach, warum er eine professionelle Maniküre von einer amateurhaften unterscheiden konnte. » Die Frauen waren keine Prostituierten. Sie hatten feste Wohnsitze und wahrscheinlich Jobs. Es ist ungewöhnlich, dass ein Killer sich Opfer aussucht, die vermisst werden.«
» Motiv, Mittel, Gelegenheit«, zählte er auf, die Grundfragen jeder Ermittlung. » Das Motiv ist Sex und Folter und vielleicht die Entnahme der Rippe.«
» Mittel«, sagte Faith und versuchte sich vorzustellen, auf welche Weise der Killer seine Opfer entführt hatte. » Vielleicht manipuliert er ihre Autos, damit sie liegenbleiben. Er könnte ein Mechaniker sein.«
» BMW s sind mit Fahrerunterstützung ausgerüstet. Man drückt auf einen Knopf, und sofort erhält man einen Anruf aus einer Werkstatt, und sie schicken einen Abschleppwagen.«
» Toll«, sagte Faith. Der Mini war der BMW des armen Mannes, das bedeutete, man musste selbst anrufen, wenn man eine Panne hatte. » Jacquelyn löst gerade den Hausstand ihrer Mutter auf. Das heißt, sie hat sich wahrscheinlich mit einer Umzugs-
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