Sara
es ein Tagesausflug, mit dem kleinen rosa Minnie-Maus-Koffer blieb sie über Nacht. Und sie kam stets mit einem Gegenstand mehr zurück, als sie gegangen war. Mein Schwiegervater glaubt voll und ganz an Geschenke. Bevor sie Ki ins Auto beförderte, ließ mich Rogette ihr kaltes, schmales Lächeln sehen und sagte: ›Dann bis sieben Uhr, sie ißt bei uns zu Abend‹, oder: ›Dann bis acht Uhr, und sie bekommt noch ein anständiges Frühstück.‹ Ich sagte, okay, worauf Rogette in die Tasche griff und Ki eine Praline entgegenhielt, wie man einem Hund einen Keks hinhält, damit er Pfötchen gibt. Sie sagte ein Wort, und Kyra fand einen Reim darauf. Rogette gab ihr die Süßigkeit - wuff, wuff, guter Hund, dachte ich immer -, dann fuhren sie los. Um sieben Uhr abends oder um acht Uhr morgens hielt der BMW immer genau da, wo Ihr Auto jetzt parkt. Man konnte die Uhr nach der Frau stellen. Aber ich machte mir Sorgen.«
»Daß sie den Rechtsweg satt haben und sie einfach mitnehmen könnten?« Das schien mir eine begründete Sorge zu sein - so begründet, daß ich kaum verstehen konnte, wieso
Mattie das kleine Mädchen überhaupt zu dem alten Mann hatte gehen lassen. In Sorgerechtsfällen gilt, wie im sonstigen Leben auch, daß Besitz neun Zehntel des Gesetzes ausmacht, und wenn Mattie mir die Wahrheit über ihre Vergangenheit und Gegenwart sagte, würde eine Anhörung in diesem Fall selbst für den reichen Mr. Devore wahrscheinlich zu einer ermüdenden Angelegenheit werden. Sie einfach zu entführen hätte am Ende nach einer besseren Lösung aussehen können.
»Nicht unbedingt«, sagte sie. »Ich schätze, es ist logisch, aber das war eigentlich nicht der Grund. Ich bekam einfach Angst. Es gibt nichts Greifbares. Es wurde Viertel nach sechs am Abend, und ich dachte: ›Diesmal wird das weißhaarige Biest sie nicht zurückbringen. Diesmal wird sie …‹«
Ich wartete. Als nichts kam, sagte ich: »Wird sie was?«
»Wie ich schon sagte, ich weiß nicht«, sagte sie. »Aber seit dem Frühjahr habe ich Angst um Ki. Im Juni konnte ich es nicht mehr ertragen und habe die Besuche verboten. Seither ist Kyra immer mal wieder wütend auf mich. Ich bin sicher, das war auch der Hauptgrund für diese Eskapade am vierten Juli. Sie redet nicht oft über ihren Großvater, platzt aber immer mit etwas heraus wie: ›Was meinst du, macht die weiße Nana gerade, Mattie?‹ oder: ›Glaubst du, der weißen Nana würde mein neues Kleid gefallen?‹ Oder sie kommt zu mir gelaufen und sagt: ›Sing, Ring, Ding‹, und möchte eine Süßigkeit haben.«
»Wie hat Devore reagiert?«
»Er war außer sich vor Wut. Er hat immer wieder angerufen, zuerst gefragt, was los sei, und dann Drohungen ausgestoßen.«
»Gewaltandrohungen?«
»Sorgerechtsdrohungen. Er würde sie mir wegnehmen, wenn er mit mir fertig wäre, würde ich vor aller Welt als schlechte Mutter dastehen, ich hätte keine Chance, meine einzige Hoffnung wäre, endlich nachzugeben und laß mich meine Enkelin sehen, gottverdammt .«
Ich nickte. »›Bitte schließ mich nicht aus‹ klingt nicht nach dem Mann, der mich während des Feuerwerks angerufen hat, aber das schon.«
»Außerdem habe ich Anrufe von Dickie Osgood und einigen anderen Einheimischen bekommen«, sagte sie. »Eingeschlossen Lances altem Freund Richie Lattimore. Richie sagte, ich würde Lances Andenken keine Ehre machen.«
»Was ist mit George Footman?«
»Er kreuzt ab und zu hier auf. Läßt mich wissen, daß er mich beobachtet. Er hat mich nicht besucht oder reingeschaut. Sie haben nach Gewaltandrohungen gefragt - allein Footmans Streifenwagen auf meiner Straße zu sehen, kommt mir wie eine Androhung von Gewalt vor. Er macht mir angst. Aber in diesen Tagen scheint das auf alles zuzutreffen.«
»Obwohl Kyras Besuche aufgehört haben.«
»Trotzdem. Es ist wie … die Ruhe vor dem Sturm. Als würde etwas passieren. Und dieses Gefühl scheint mit jedem Tag stärker zu werden.«
»Mr. Storrows Nummer«, sagte ich. »Wollen Sie sie haben?«
Sie saß still da und sah in ihren Schoß. Dann hob sie den Kopf und nickte. »Geben Sie mir die Nummer. Und danke. Aus tiefstem Herzen.«
Ich hatte die Nummer auf einem rosa Notizzettel in der Brusttasche. Sie streckte die Hand danach aus, nahm ihn aber nicht sofort. Unsere Finger berührten sich, und sie sah mich beunruhigend fest an. Es war, als wüßte sie mehr über meine Motive als ich.
»Womit kann ich es Ihnen vergelten?« fragte sie, und da war es.
»Erzählen Sie
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