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Sara

Sara

Titel: Sara Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Kindfrau von siebzehn Jahren angeboten, die also in einem Alter war, in dem die romantische Sicht der Dinge ihren Höhepunkt erreicht. Zumindest hätte Devore noch eine Weile warten sollen mit seinem Angebot. Man könnte einwenden, daß er nicht wußte, ob er noch eine Weile hatte , aber das wäre kein überzeugendes Argument. Ich glaube, Mattie hatte recht - tief in der runzligen alten Pflaume, die ihm als Herz diente, glaubte Max Devore, daß er ewig leben würde.
    Letzten Endes hatte er sich nicht beherrschen können. Da war der Schlitten, den er haben wollte; der Schlitten, den er einfach haben mußte, gleich auf der anderen Seite des Fensters. Er mußte nur die Scheibe einschlagen und ihn sich holen. Das hatte er sein ganzes Leben lang getan, und darum reagierte er auf die e-mail seines Sohnes nicht listig, wie es ein Mann seines Alters und seiner Fähigkeiten hätte tun sollen, sondern wütend, wie ein Kind, wenn sich das Glas des Schuppenfensters unter seinen hämmernden Fäusten als unzerbrechlich erwies. Lance wollte nicht, daß er sich einmischte? Prima! Lance konnte mit seiner hinterwäldlerischen Daisy Mae in einem Zelt oder einem Wohnwagen oder einem gottverdammten Kuhstall hausen. Er konnte auch den lukrativen Waldaufseherjob aufgeben und sich eine richtige Arbeit suchen. Sehen, wie die andere Hälfte lebte!
    Mit anderen Worten, du kannst mir nicht kündigen, Sohn. Du bist gefeuert.
    »Wir sind einander bei der Beerdigung nicht in die Arme gefallen«, sagte Mattie, »glauben Sie das nicht. Aber er war anständig zu mir - und ich versuchte, anständig zu ihm zu sein. Er bot mir eine Rente an, die ich ablehnte. Ich hatte Angst, es könnte rechtliche Konsequenzen haben.«
    »Das bezweifle ich, aber mir gefällt Ihre Vorsicht. Was passierte, als er Kyra zum erstenmal sah, Mattie? Können Sie sich erinnern?«

    »Ich werde es nie vergessen.« Sie griff in die Tasche ihres Kleids, fand eine zerknüllte Packung Zigaretten und schüttelte eine heraus. Sie sah sie mit einer Mischung aus Gier und Abscheu an. »Ich hab’ aufgehört, weil Lance sagte, daß wir sie uns nicht leisten könnten, und ich wußte, daß er recht hatte. Aber die Gewohnheit ist schwer abzulegen. Ich rauche nur ein Päckchen die Woche und weiß verdammt gut, daß selbst das zuviel ist, aber manchmal brauche ich den Trost. Möchten Sie eine?«
    Ich schüttelte den Kopf. Sie zündete die Zigarette an, und in dem kurzen Aufleuchten war ihr Gesicht mehr als hübsch. Was hatte der alte Mann von ihr gehalten? fragte ich mich.
    »Er hat seine Enkeltochter das erste Mal neben einem Leichenwagen gesehen«, sagte Mattie. »Wir waren in Dakin’s Bestattungsinstitut in Motton. Beim Aufbahren. Wissen Sie, was das ist?«
    »O ja«, sagte ich und dachte an Jo.
    »Ich ging raus, um eine Zigarette zu rauchen. Ich sagte Ki, daß sie auf die Treppe des Bestattungsinstituts sitzen sollte, damit sie den Rauch nicht abbekam, und ging ein Stück den Fußweg hinab. Eine große graue Limousine fuhr vor. Ich hatte so etwas noch nie gesehen, außer im Fernsehen. Ich wußte sofort, wer da kam. Ich steckte die Zigaretten wieder in die Handtasche und befahl Ki, zu mir zu kommen. Sie kam den Fußweg entlanggetapert und nahm meine Hand. Die Tür der Limousine ging auf, und Rogette Whitmore kam heraus. Sie hatte eine Sauerstoffmaske in einer Hand, aber die brauchte er nicht, jedenfalls nicht gleich. Er stieg nach ihr aus. Ein großer Mann - nicht so groß wie Sie, Mike, aber groß - im grauen Anzug und schwarzen, auf Hochglanz polierten Schuhen.«
    Sie machte eine nachdenkliche Pause. Sie führte die Zigarette kurz zum Mund und ließ sie wieder zur Armlehne des Stuhls sinken, ein rotes Glühwürmchen im schwachen Mondschein.
    »Zuerst sagte er gar nichts. Die Frau versuchte, seinen Arm zu nehmen und ihn die drei oder vier Stufen zum Fußweg hinauf zu führen, aber er schüttelte sie ab. Er kam aus eigener Kraft zu der Stelle, wo wir standen, aber ich konnte es tief in
seiner Brust pfeifen hören. Es war das Geräusch, das eine Maschine von sich gibt, wenn sie Öl braucht. Ich weiß nicht, wie weit er heute noch zu Fuß gehen kann, aber wahrscheinlich nicht weit. Die wenigen Schritte haben ihn fertiggemacht, und das war vor fast einem Jahr. Er sah mich eine oder zwei Sekunden an, dann beugte er sich nach vorne und stemmte die großen, knochigen Hände auf die Knie. Er sah Kyra an, und sie schaute zu ihm hoch.«
    Ja. Ich konnte es vor mir sehen … aber nicht in Farbe, nicht

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