Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sara

Sara

Titel: Sara Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
Papier in meiner waldgrünen Selectric steckte. Auf dem See rief ein letzter Eistaucher dunkel herab, ein Ruf, der sich für mich stets wie etwas Rostiges anhört, das sich langsam im Wind dreht.
    »Ich dachte, du bist fertig«, sagte sie.
    »Bis auf die letzte Zeile«, sagte ich. »Das Buch als solches ist dir gewidmet, und ich möchte, daß du diesen letzten Satz schreibst.«
    Sie lachte nicht und erhob keine Einwände oder wurde rührselig, sondern sah mich nur an, ob es wirklich mein Ernst war. Ich nickte zustimmend, worauf sie sich auf meinen Stuhl setzte. Sie war vorher schwimmen gewesen, und ihr Haar war nach hinten gekämmt und durch ein weißes elastisches Ding gezogen. Es war naß und zwei Schattierungen dunkler rot als gewöhnlich. Ich legte meine Hand darauf. Es war, als würde ich feuchte Seide berühren.
    »Neuer Absatz?« fragte sie so ernst wie eine Stenosekretärin, die ein Diktat vom Big Boss aufnimmt.

    »Nein«, sagte ich, »im Anschluß weiter.« Und dann diktierte ich ihr den Satz, den ich im Kopf hatte, seit ich aufgestanden war, um den Champagner einzuschenken: »›Er streifte ihr die Kette über den Kopf, dann gingen die beiden die Treppe hinunter zu dem wartenden Auto.‹«
    Sie tippte es, dann sah sie erwartungsvoll zu mir auf. »Das war’s«, sagte ich. »Ich schätze, du kannst ENDE schreiben.«
    Jo drückte zweimal die Rückschalttaste, zentrierte den Wagen und tippte »Ende« unter die letzte Textzeile, und der Kugelkopf der IBM - Courier, meine Lieblingstype - druckte die Buchstaben in ihrem gehorsamen Tanz.
    »Was ist das für eine Kette, die er ihr über den Kopf streift?« fragte sie mich.
    »Du mußt das Buch lesen, um das herauszufinden.«
    Da sie an meinem Schreibtisch saß und ich neben ihr stand, war sie in der perfekten Position, das Gesicht dorthin zu bringen, wohin sie es brachte. Als sie sprach, bewegte sie die Lippen an meinem empfindlichsten Teil. Ein Paar Baumwollshorts war zwischen uns, sonst nichts.
    »Vir haben Mittel und Vege, dich fum Sprechen fu bringen«, sagte sie.
    »Jede Wette«, sagte ich.
     
    Am Tag, als ich Von ganz oben beendete, versuchte ich wenigstens, das Ritual durchzuführen. Es fühlte sich hohl an, eine Form, aus der die magische Substanz verschwunden war, aber damit hatte ich gerechnet. Ich tat es nicht aus Aberglauben, sondern aus Respekt und Liebe. Eine Art Gedächtnisgottesdienst, wenn Sie so wollen. Oder, wenn Sie so wollen, Johannas wahres Begräbnis, das endlich stattfand, einen Monat nachdem sie unter der Erde war.
    Es war im letzten Septemberdrittel und immer noch heiß - der heißeste Spätsommer, an den ich mich erinnern kann. Während der ganzen traurigen Abschlußarbeiten an dem Buch dachte ich daran, wie sehr ich sie vermißte … aber das bremste mich kein bißchen. Und da ist noch etwas: So heiß es in Derry war, so heiß, daß ich für gewöhnlich in nichts als Boxershorts arbeitete, ich dachte nicht einmal daran, zu unserer
Hütte am See zu fahren. Es war, als wäre die Erinnerung an Sara Lacht gänzlich aus meinem Gedächtnis getilgt worden. Vielleicht lag es daran, daß mir die ganze Wahrheit allmählich bewußt wurde, als ich Von ganz oben beendete. Diesmal war sie nicht nur in Irland.
    Mein Arbeitszimmer am See ist winzig, aber mit Aussicht. Das Arbeitszimmer in Derry ist lang, voll mit Büchern und ohne Fenster. An diesem besonderen Abend waren die Deckenventilatoren - es sind drei - eingeschaltet und paddelten durch die stickige Luft. Ich betrat es in Shorts, T-Shirt und Gummisandalen und trug ein Cola-Tablett aus Blech mit der Flasche Champagner und den beiden gekühlten Gläsern darauf. Am anderen Ende des schlauchförmigen Raums leuchteten Worte auf dem Monitor meines Macintosh.
    Ich dachte mir, daß ich wahrscheinlich einen neuen Anfall von Trauer heraufbeschwor - möglicherweise den schlimmsten -, aber ich machte trotzdem weiter … und unsere Emotionen überraschen uns immer wieder, nicht wahr? In dieser Nacht weinte und heulte ich nicht; ich schätze, das war alles schon aus meinem Körper draußen. Statt dessen empfand ich ein tiefes und scheußliches Gefühl des Verlusts - der leere Stuhl, wo sie so gern gesessen und gelesen, der leere Tisch, wo sie ihre Gläser immer zu nah an den Rand gestellt hatte.
    Ich schenkte ein Glas Champagner ein, ließ den Schaum absitzen und hob es hoch. »Ich bin fertig, Jo«, sagte ich, während ich unter den paddelnden Ventilatoren saß. »Dann geht das ja in Ordnung,

Weitere Kostenlose Bücher