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Sara

Sara

Titel: Sara Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Osgood«, sagte er, als könnte ich nicht lesen, und streckte die Hand aus. Das Bedürfnis des amerikanischen Mannes, auf diese Geste zu reagieren, ist tief verwurzelt, aber an jenem Abend konnte ich widerstehen. Er hielt die kleine rosa Pfote noch einen Moment ausgestreckt, dann ließ er sie sinken und wischte sich die Handfläche nervös an der Stoffhose ab. »Ich habe eine Nachricht für Sie. Von Mr. Devore.«
    Ich wartete.
    »Darf ich reinkommen?«
    »Nein«, sagte ich.
    Er wich einen Schritt zurück, wischte sich wieder die Hand an der Hose ab und schien sich zu sammeln. »Ich glaube kaum, daß ein Grund besteht, unhöflich zu sein, Mr. Noonan.«
    Ich war nicht unhöflich. Hätte ich unhöflich sein wollen, hätte er eine Dosis Insektengift verpaßt bekommen. »Max Devore und seine Gouvernante haben heute abend versucht, mich im See zu ertränken. Wenn Ihnen mein Verhalten etwas schroff erscheint, liegt es wahrscheinlich daran.«
    Ich glaube, Osgoods erschrockene Miene war echt. »Sie müssen zu hart an Ihrem jüngsten Projekt arbeiten, Mr. Noonan. Max Devore wird an seinem nächsten Geburtstag sechsundachtzig - wenn er ihn erlebt, was inzwischen fraglich erscheint. Der arme alte Mann kann kaum noch von seinem Rollstuhl zum Bett gehen. Und was Rogette angeht -«
    »Ich verstehe, was Sie meinen«, sagte ich. »Ich habe es vor zwanzig Minuten mit eigenen Augen gesehen, auch ohne Ihre Hilfe. Ich kann es selbst kaum glauben und war dabei. Geben Sie mir, was Sie für mich haben.«
    »Nun gut«, sagte er mit einer beleidigten kleinen ›Dann seien -Sie-eben-so‹-Stimme. Er machte einen Reißverschluß an der Vorderseite seiner Ledertasche auf und holte einen weißen Briefumschlag heraus, im Aktenformat und zugeklebt. Ich nahm ihn und hoffte, Osgood würde nicht spüren, wie laut
mein Herz klopfte. Devore handelte verdammt schnell für einen Mann, der mit einem Sauerstofftank reiste. Die Frage war, um was für einen Schachzug handelte es sich hierbei?
    »Danke«, sagte ich und begann die Tür zu schließen. »Ich würde Ihnen gern ein Trinkgeld geben, habe aber meine Brieftasche auf der Kommode liegenlassen.«
    »Warten Sie! Sie sollen das lesen und mir eine Antwort geben.«
    Ich zog die Brauen hoch. »Ich weiß nicht, wie Devore auf den Gedanken kommt, er könnte mich herumkommandieren, habe aber nicht die Absicht, mein Verhalten von seinem Irrglauben beeinflussen zu lassen. Hauen Sie ab.«
    Er zog die Lippen nach unten, was tiefe Grübchen an seinen Mundwinkeln hervorrief, und auf einmal sah er gar nicht mehr wie Woody Allen aus. Er sah aus wie ein fünfzigjähriger Immobilienmakler, der dem Teufel seine Seele verkauft hatte und jetzt nicht mit ansehen konnte, wie jemand den Boß an seinem gegabelten Schwanz zog. »Ein freundschaftlicher Rat, Mr. Noonan - Sie sollten aufpassen. Max Devore ist kein Mann, mit dem man Spielchen treibt.«
    »Ein Glück für mich, daß ich keine Spielchen treibe.«
    Ich machte die Tür zu, blieb in der Diele stehen, hielt den Umschlag und beobachtete Mr. Next Century Immobilien. Er sah stinksauer und verwirrt aus - ich schätze, in letzter Zeit hatte ihn niemand mehr so abfahren lassen. Vielleicht tat es ihm ganz gut. Würde ihn veranlassen, die Dinge in einem andern Licht zu sehen. Ihn daran erinnern, daß Richie Osgood, Max Devore hin oder her, nie größer als einsachtundsechzig sein würde. Sogar in Cowboystiefeln.
    »Mr. Devore will eine Antwort!« rief er durch die geschlossene Tür.
    »Ich ruf’ an«, rief ich zurück, dann hob ich langsam die beiden Mittelfinger zum Doppeladler, den ich vorher zu gerne Bill und Rogette gezeigt hätte. »Vielleicht können Sie ihm bis dahin das hier übermitteln.«
    Ich rechnete fast damit, daß er die Brille abnehmen und sich die Augen reiben würde. Statt dessen ging er zu seinem Auto zurück, warf die Tasche hinein und folgte ihr anschließend.
Ich sah ihm nach, bis er rückwärts die Einfahrt hinauf gefahren war und ich sicher sein konnte, daß er sich verzogen hatte. Dann ging ich ins Wohnzimmer und machte den Umschlag auf. Im Inneren befand sich ein einziges Blatt Papier, leicht mit dem Duft parfümiert, den meine Mutter aufgelegt hatte, als ich ein Kind war. Ich glaube, White Shoulders heißt er. Ganz oben stand in verzierten, damenhaften, leicht erhabenen Buchstaben
    ROGETTE D. WHITMORE
    Darunter, in einer leicht zittrigen Frauenhandschrift, folgende Nachricht:
    20.30 Uhr
     
    Lieber Mr. Noonan,
     
    Max bittet mich, Ihnen auszurichten,

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