Sara
den Beifahrersitz, blieb einfach einen Moment sitzen und ließ mir von der Klimaanlage kühle Luft auf Gesicht und Hals wehen. Kenny Auster war in Taxachusetts. Das war gut. Ein Schritt in die richtige Richtung.
Aber da war noch mein Hausmeister.
»Bill ist nicht da«, sagte Yvette. Sie stand an der Tür und versperrte sie, so gut es ging (man kann in der Hinsicht nicht allzu viel tun, wenn man einen Meter sechzig groß ist und rund fünfundvierzig Kilo wiegt), während sie mich mit dem grimmigen Blick eines Nachtclubrausschmeißers ansah, der einem Betrunkenen, den er bereits einmal vor die Tür gesetzt hat, den Eintritt verwehrt.
Ich stand auf der Veranda des Cape-Cod-Hauses - so hübsch, wie man es sich nur vorstellen kann -, das auf dem Gipfel des Peabody Hill liegt und einen Blick über ganz New Hampshire bis in den Hinterhof von Vermont gewährt. Bills Geräteschuppen standen links vom Haus, alle im selben Grauton gestrichen, jeder mit einem Schild: HAUSMEISTEREI DEAN, 1, 2, 3. Vor Nr. 2 parkte Bills Dodge Ram. Ich sah ihn an, dann Yvette. Sie kniff die Lippen ein wenig fester zusammen.
Noch ein Grad mehr, dachte ich, und sie wären ganz verschwunden.
»Er ist mit Butch Wiggins nach North Conway gefahren«, sagte sie. »Sie haben Butchs Laster genommen. Um -«
»Du mußt nicht für mich lügen, Herzblatt«, sagte Bill hinter ihr.
Es war immer noch mehr als eine Stunde bis Mittag, und obendrein am Tag des Herrn, aber ich hatte noch nie einen Mann erlebt, der sich so müde anhörte. Er kam durch die Diele geschlurft, und als er aus deren Schatten ins Licht trat - die Sonne kam endlich durch den Dunst -, stellte ich fest, daß man Bill sein Alter ansah. Jedes einzelne Jahr, und möglicherweise noch zehn mehr. Er trug wie üblich Hemd und Hose aus Khaki - Bill Dean würde ein Dickies-Mann sein, bis er starb -, aber seine Schultern waren krumm, fast eingefallen, als hätte er eine Woche lang Eimer geschleppt, die zu schwer für ihn waren. Auch der Verwitterungsprozeß in seinem Gesicht hatte eingesetzt, ein undefinierbarer Vorgang, durch den die Augen zu groß, der Kiefer zu vorstehend und die Lippen ein wenig schlaff wirken. Er sah alt aus. Es gab auch keine Kinder, um das Gewerbe der Familie weiter auszuüben; die alten Familien starben aus, hatte Lila Proulx gesagt. Und das war vielleicht gut so.
»Bill -«, begann sie, aber er hob eine große Hand, um sie zum Schweigen zu bringen. Die schwieligen Fingerspitzen bebten ein wenig.
»Geh ein bißchen in die Küche«, bat er sie. »Ich muß mit meinem compadre hier reden. Wird nicht lange dauern.«
Yvette sah ihn an, und als sie sich mir zuwandte, hatte sie endgültig das Null-Lippen-Stadium erreicht. Es gab nur einen schwarzen Strich, wo sie gewesen waren, wie eine mit Bleistift aufgemalte Linie. Ich sah schmerzhaft deutlich, daß sie mich haßte.
»Machen Sie ihn nicht müde«, sagte sie zu mir. »Er hat nicht geschlafen. Wegen der Hitze.« Sie ging mit steifem Rücken und hochgezogenen Schultern durch die Diele und verschwand in Schatten, die wahrscheinlich kühl waren. In Häusern von alten Leuten scheint es immer kühl zu sein - ist Ihnen das auch schon aufgefallen?
Bill kam auf die Veranda, steckte die großen Hände in die Hosentaschen und bot mir keine zum Gruß an. »Ich hab’ Ihnen nichts zu sagen. Wie beide sind fertig miteinander.«
»Warum, Bill? Warum sind wir fertig miteinander?«
Er sah nach Westen, wo die Hügel im brennenden Sommerdunst lagen, in dem sie verschwanden, bevor sie zu Bergen werden konnten, und sagte nichts.
»Ich versuche, der jungen Frau zu helfen.«
Er warf mir aus den Augenwinkeln einen Blick zu, den ich nur zu gut deuten konnte. »Jau. Ihr helfen, um ihr an die Wäsche gehen zu können. Ich sehe Männer, die mit ihren jungen Mädchen aus New York und New Jersey kommen. Sommerwochenenden, Skiwochenenden, spielt keine Rolle. Männer, die mit Mädchen in diesem Alter gehen, sehen immer gleich aus; die haben die Zunge raushängen, selbst wenn sie den Mund geschlossen haben. Jetzt sehen Sie genauso aus.«
Ich war wütend und verlegen, widerstand aber dem Impuls, ihm auf diesen Leim zu gehen. Das war es, was er wollte.
»Was ist hier passiert?« fragte ich ihn. »Was haben eure Väter und Großväter und Urgroßväter Sara Tidwell und ihrer Familie angetan? Ihr habt sie nicht nur vertrieben, oder?«
»Mußten wir nicht«, sagte Bill und sah an mir vorbei zu den Hügeln. Seine Augen waren fast tränenfeucht, aber
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