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Sara

Sara

Titel: Sara Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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ihn schreien, als ich mit meiner Tragetasche in der Hand vor dem grauen Stein kniete und keine Ahnung hatte, wie ich hierher gelangt war - daß ich hergelaufen war, daran konnte ich mich jedenfalls nicht erinnern. Ich weinte vor Schock und Grauen und Mitleid. War sie verrückt? Nun, kein Wunder. Überhaupt kein Wunder. Der Regen fiel konstant, aber nicht mehr apokalyptisch. Ich betrachtete ein paar Sekunden meine fischweißen Hände auf dem grauen Felsen, dann sah ich mich um. Devore und die anderen waren verschwunden.
    Der überreife Gasgeruch von Verwesung stieg mir in die Nase - es war wie eine physische Attacke. Ich suchte in der Tragetasche, fand die Stenomaske, die Rommie und George mir aus Jux geschenkt hatten, und streifte sie mir mit tauben Fingern über Mund und Nase. Ich atmete flach und vorsichtig ein. Besser. Nicht viel, aber genug, daß ich nicht davonlief, was zweifellos genau das war, was sie wollte.
    »Nein!« schrie sie irgendwo hinter mir, als ich den Spaten nahm und zu graben anfing. Mit dem ersten Stich riß ich ein großes Loch in den Boden, das mit jedem nachfolgenden tiefer und breiter wurde. Die Erde war weich und locker, von dünnen
Würzelchen durchzogen, die kein Hindernis für den Spaten bildeten.
    »Nein! Wag das ja nicht!«
    Ich wollte mich nicht umsehen, ihr keine Chance geben, mich wegzustoßen. Hier unten war sie stärker, vielleicht deshalb, weil es hier passiert war. War das möglich? Ich wußte es nicht, und es kümmerte mich nicht. Ich wollte es nur hinter mich bringen. Wo die Wurzeln dicker waren, schnitt ich sie mit dem Messer durch.
    »Laß mich in Ruhe!«
    Jetzt drehte ich mich doch um, riskierte einen Blick wegen der unnatürlichen krächzenden Laute, die ihre Stimme begleiteten - die inzwischen ihre Stimme zu sein schienen. Die Grüne Lady war fort. Die Birke war irgendwie zu Sara Tidwell geworden: Saras Gesicht wuchs aus dem Geflecht der Zweige und glänzenden Blätter. Das regennasse Gesicht schwankte, zerfloß, fügte sich zusammen, schmolz dahin, fügte sich wieder zusammen. Einen Augenblick wurde das ganze Geheimnis, das ich hier unten gespürt hatte, offenbar. Ihre feuchten, unsteten Augen waren durch und durch menschlich. Sie sahen mich haßerfüllt und flehentlich zugleich an.
    »Ich bin noch nicht fertig!« schrie sie mit brüchiger, brechender Stimme. »Er war der Schlimmste, begreifst du nicht? Er war der Schlimmste, und sein Blut fließt in ihr, und ich werde nicht ruhen, bis ich es ausgetilgt habe!«
    Ein gräßlicher reißender Laut ertönte. Sie hatte von der Birke Besitz ergriffen, hatte sie zu einer Art stofflichem Körper gemacht und wollte sie aus der Erde reißen. Wenn sie es schaffte, würde sie kommen und mich damit zur Strecke bringen; mich töten, wenn sie konnte. Mich mit Astgabeln erwürgen. Mich mit Laub vollstopfen, bis ich aussah wie ein Stück Weihnachtsdekoration.
    »Was für ein Monster er auch gewesen sein mag, Kyra hat nichts damit zu tun, was er getan hat«, sagte ich. »Und du wirst sie nicht bekommen.«
    »Doch, das werd’ ich!« schrie die Grüne Lady. Die reißenden, berstenden Geräusche waren jetzt lauter. Ein zischendes, bebendes Knistern gesellte sich dazu. Ich drehte mich nicht
noch einmal um. Ich wagte nicht, mich noch einmal umzudrehen. Statt dessen grub ich schneller. »Doch, ich werde sie bekommen!« schrie sie, und nun war die Stimme näher. Sie kam, um mich zu holen, aber ich sah nicht hin; wenn es um wandelnde Bäume und Büsche geht, halte ich es wie Macbeth, schönen Dank. »Ich werde sie bekommen! Er hat mir meinen genommen, und ich werde mir seine holen! «
    »Geh weg«, sagte eine neue Stimme.
    Der Spaten glitt mir ein Stück aus den Händen, fiel beinahe zu Boden. Ich drehte mich um und sah Jo rechts unter mir stehen. Sie sah Sara an, die sich als Halluzination eines Wahnsinnigen materialisiert hatte - ein monströses schwarz-grünes Ding, das bei jedem Schritt rutschte, den es auf der Straße machen wollte. Sie hatte die Birke zurückgelassen, aber sich irgendwie ihre Lebenskraft angeeignet - der eigentliche Baum hing schwarz und verschrumpelt und abgestorben hinter ihr. Die daraus entstandene Kreatur sah aus wie Frankensteins Braut als Skulptur von Picasso. Saras Gesicht erschien darin und verging wieder, erschien und verging.
    Die gespenstische Gestalt , dachte ich gelassen. Sie war immer real … und wenn immer ich es war, dann war es auch immer sie .
    Jo trug das weiße Hemd und die blaue Hose, die sie an ihrem

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