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Sara

Sara

Titel: Sara Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Brettern pfählen und wie ein Vampir sterben können, der sich auf einem Pflock windet. Was für ein angenehmer Gedanke das nur war.
    Laufen ist nicht gut für Leute, die der Panik nahe sind; es ist, als würde man sich an Giftsumach reiben. Als ich die Arme um eine der Kiefern am Ende der Stufen geschlungen hatte, um abzubremsen, war ich im Begriff, jeden zusammenhängenden
Gedanken zu verlieren. Kis Name hämmerte wieder in meinem Kopf - so laut, daß kaum Platz für etwas anderes blieb.
    Dann zuckte ein Blitz rechts von mir vom Himmel und schlug den untersten Meter aus dem Stamm einer riesigen alten Fichte, die wahrscheinlich schon hier gestanden hatte, als Sara und Kito noch lebten. Wenn ich direkt hingesehen hätte, wäre ich blind geworden; obwohl ich den Kopf zu drei Vierteln abgewandt hatte, schwebte nach dem Einschlag ein riesiger blauer Fleck wie das Nachglühen eines gigantischen Kamerablitzes vor meinen Augen. Ein knirschendes, berstendes Geräusch ertönte, als die sechzig Meter hohe Fichte in den See fiel und einen langen Gischtvorhang aufwirbelte, der zwischen dem grauen Himmel und dem grauen Wasser zu schweben schien. Der Stumpf fing trotz des Regens Feuer und brannte wie der Hut einer Hexe.
    Das hatte dieselbe Wirkung wie eine Ohrfeige, klärte meinen Kopf und gab mir eine letzte Chance, mein Gehirn zu benutzen. Ich holte tief Luft und zwang mich, genau das zu tun. Warum war ich eigentlich hier heruntergekommen? Warum glaubte ich, Rogette hätte Kyra mit zum See genommen, wo ich gerade gewesen war, statt sie von mir weg zu schaffen, die Einfahrt hinauf zum Weg zweiundvierzig?
    Sei nicht dumm. Sie ist hierhergekommen, weil die Straße der Weg zum Warrington’s ist, und im Warrington’s ist sie gewesen, ganz allein, seit sie den Leichnam vom Boß in seinem Privatjet nach Kalifornien zurückgeschickt hat.
    Sie hatte sich ins Haus geschlichen, während ich unter Jos Atelier gewesen war, das Blechkästchen im Bauch der Eule gefunden und den Zettel mit den genealogischen Notizen studiert hatte. Sie hätte Ki schon zu diesem Zeitpunkt mitgenommen, wenn ich ihr die Möglichkeit dazu gegeben hätte, aber das tat ich nicht. Ich kam zurückgelaufen, weil ich fürchtete, daß etwas nicht stimmte, daß jemand versuchen könnte, sich des Kindes zu bemächtigen -
    Hatte Rogette sie geweckt? Hatte Ki sie gesehen und versucht, mich zu warnen, bevor sie wieder eindöste? War ich darum so überstürzt zurückgekehrt? Vielleicht. Da war ich noch in der Zone, die Verbindung zwischen uns war noch intakt
gewesen. Rogette war ganz sicher im Haus gewesen, als ich zurückgekehrt war. Vielleicht sogar im Schlafzimmer im Nordflügel und hatte mich durch den Spalt der Tür beobachtet. Und ein Teil von mir hatte es gewußt. Ein Teil von mir hatte sie gespürt, hatte etwas gespürt, das nicht Sara war.
    Dann war ich wieder gegangen. Hatte mir die Tragetasche von Slips ’ n Greens geholt und war hierher gekommen. Nach rechts abgebogen, nach Norden. Zu der Birke, dem Fels, dem Sack voll Knochen. Ich hatte getan, was ich tun mußte, und währenddessen hatte Rogette Kyra hinter mir die Eisenbahnschwellen hinuntergetragen und war nach links auf die Straße abgebogen. Nach Süden, Richtung Warrington’s. Mit einem Gefühl der Niedergeschlagenheit tief unten im Bauch wurde mir klar, daß ich Ki wahrscheinlich gehört hatte … möglicherweise sogar gesehen. Der Vogel, der während der Flaute so zaghaft aus seinem Versteck geschaut hatte, war kein Vogel gewesen. Da war Ki schon wach gewesen, Ki hatte mich gesehen - hatte vielleicht auch Jo gesehen - und versucht, nach mir zu rufen. Sie hatte nur diesen kleinen Pieps herausgebracht, ehe Rogette ihr den Mund zuhalten konnte.
    Wie lange war das her? Es kam mir zwar wie eine Ewigkeit vor, aber ich vermutete, daß es gar nicht lange war - wahrscheinlich weniger als fünf Minuten. Aber man braucht nicht lange, um ein Kind zu ertränken. Das Bild von Kitos bloßem Arm, der senkrecht aus dem Wasser ragte, versuchte sich wieder einzustellen - die Hand an seinem Ende, die sich öffnete und schloß, öffnete und schloß, als wolle sie versuchen, anstelle von Lungen zu atmen, die es nicht konnten -, aber ich verdrängte es. Außerdem unterdrückte ich den Wunsch, einfach in Richtung Warrington’s zu sprinten. Wenn ich das machte, würde mich die Panik ganz bestimmt überwältigen.
    In all den Jahren seit ihrem Tod hatte ich mich nicht mit einem derart bitteren Verlangen nach Jo gesehnt, wie ich

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