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Sara

Sara

Titel: Sara Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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genagelt. An einem rechts davon hing ein Schild NEXT CENTURA IMMOBILIEN und eine hiesige Telefonnummer. Die Worte waren verblaßt und in der zunehmenden Dunkelheit schwer zu lesen.

    Ich ging weiter und merkte wieder überdeutlich, wie heftig mein Herz schlug und die Moskitos um meinen Kopf und meine Arme summten. Ihre Hauptsaison war vorbei, aber ich schwitzte stark, und das ist ein Geruch, den sie mögen. Er muß sie an Blut erinnern.
    Wie ängstlich ich war, als ich mich Sara Lacht näherte? Ich kann mich nicht erinnern. Ich vermute, Furcht gehört wie Schmerz zu den Dingen, die unser Verstand verdrängt, wenn sie vorüber sind. Woran ich mich erinnern kann , ist ein Gefühl, das ich schon früher gehabt hatte, wenn ich hier war, besonders wenn ich diesen Weg allein ging. Es war ein Gefühl, als wäre die Realität dünn. Ich glaube, sie ist dünn, wissen Sie, dünn wie die Eisschicht auf einem See bei Tauwetter, und wir erfüllen unser Leben mit Lärm und Licht und Bewegung, um dieses Dünnsein vor uns zu verbergen. Aber an Orten wie dem Weg 42 stellt man fest, daß sämtliche Abschirmungen und Spiegel entfernt wurden. Zurück bleibt das Geräusch von Grillen und der Anblick grüner Blätter, die in Schwarz übergehen; Zweige, die Formen wie Gesichter bilden; das Geräusch des Herzschlags in der Brust, das Pulsieren des Bluts im Innern der Augen und das Aussehen des Himmels, wenn das blaue Blut des Tages aus seinen Wangen weicht.
    Wenn das Tageslicht sich verabschiedet, kommt eine Art Gewißheit: daß unter der Haut ein Geheimnis wartet, ein schwarzes und zugleich leuchtendes Mysterium. Man spürt dieses Mysterium mit jedem Atemzug, sieht es in jedem Schatten, rechnet bei jedem neuen Schritt damit, daß man hineinstürzt. Es ist da; man gleitet in einer Art atemlosen Kurve darüber hinweg wie ein Schlittschuhläufer, der sich auf den Heimweg macht.
    Eine halbe Meile südlich der Stelle, wo ich das Auto abgestellt hatte, blieb ich einen Moment stehen, immer noch eine halbe Meile nördlich der Einfahrt. Hier macht der Weg eine scharfe Kurve, und rechts liegt ein offenes Feld, das steil zum See hin abfällt. Tidwell’s Meadow nennen es die Einheimischen, manchmal auch Old Camp. Hier hatten Sara Tidwell und ihr seltsamer Stamm ihre Hütten gebaut, zumindest Marie Hingerman zufolge (und als ich Bill Dean einmal fragte, stimmte er zu, das wäre die
Stelle … aber er schien nicht daran interessiert, das Gespräch fortzusetzen, was mir damals ein wenig seltsam vorkam).
    Ich blieb einen Moment stehen und sah zum nördlichen Ende des Dark Score. Das Wasser war glasklar und ruhig, im Nachglühen des Sonnenuntergangs bonbonfarben, ohne daß eine einzige Welle oder ein einziges Boot zu sehen gewesen wären. Die Bootsbesitzer waren inzwischen alle unten im Jachthafen oder in Warrington’s Sunset Bar, vermutete ich, wo sie Hummerbrötchen aßen und große Cocktails tranken. Später würden einige von ihnen, mit Speed und Martinis zugedröhnt, im Mondschein auf dem See hin und her rasen. Ich fragte mich, ob ich dasein und sie hören würde. Ich dachte mir, die Chancen stünden nicht schlecht, daß ich dann schon wieder auf dem Rückweg nach Derry wäre und entweder Todesangst vor dem, was ich gefunden hatte, oder Enttäuschung empfände, weil ich überhaupt nichts gefunden hatte.
    »Sie komischer kleiner Mann, sagte Strickland.«
    Ich wußte nicht, daß ich etwas sagen wollte, bis mir die Worte über die Lippen kamen, und warum speziell diese Worte, wußte ich nicht zu sagen. Ich erinnerte mich an meinen Traum von Jo unter dem Bett und erschauerte. Ein Moskito summte in meinem Ohr. Ich zerquetschte ihn und ging weiter.
    Am Ende war der Zeitpunkt meiner Ankunft oben an der Einfahrt fast zu perfekt gewählt, das Gefühl, als hätte ich meinen Traum wieder betreten, fast zu vollkommen. Sogar die an dem SARA-LACHT-Schild festgebundenen Ballons (einer weiß, einer blau, beide mit dem sorgfältig in schwarzer Tusche aufgemalten Schriftzug HERZLICH WILLKOMMEN MIKE!), die vor dem zunehmend dunkleren Hintergrund der Bäume schwebten, verstärkten das Déjà-vu-Erlebnis, das ich absichtlich herbeigeführt hatte, denn keine zwei Träume sind exakt identisch, nicht wahr? Was von Händen oder dem Geist fabriziert wird, kann niemals identisch sein, selbst wenn es sich größte Mühe gibt, identisch auszusehen, weil wir selbst niemals von Tag zu Tag dieselben sind, nicht einmal von Augenblick zu Augenblick.
    Ich ging zu dem Schild und

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