Sara
stehenbleiben wollte. Die Stimme eines Außenseiters.
Ich setzte mich wieder in Bewegung. Inzwischen hatte ich mehr als die halbe Einfahrt hinter mich gebracht. Ich kam zu der Stelle, wo ich der Stimme im Traum gesagt hatte, daß ich Angst vor Mrs. Danvers hätte.
»Ich habe Angst vor Mrs. D«, sagte ich und ließ die Worte laut in der zunehmenden Dunkelheit erklingen. »Was soll werden, wenn die böse alte Haushälterin da unten ist?«
Ein Eistaucher schrie über dem See, aber die Stimme antwortete nicht. Ich nehme an, das mußte sie auch nicht. Es gab keine Mrs. Danvers, sie war nur ein Sack voll Knochen in einem alten Buch, und die Stimme wußte das.
Ich ging wieder weiter. Ich passierte die große Kiefer, die Jo einmal gerammt hatte, als sie den Jeep in der Einfahrt zurücksetzen wollte. Wie sie geflucht hatte! Wie ein Matrose! Es war mir gelungen, eine stoische Miene zu wahren, bis sie bei ›Scheiß die Wand an‹ angelangt war, und da konnte ich nicht mehr, lehnte mich an den Jeep, preßte die Handballen an die Schläfen und wieherte, bis mir Tränen die Wangen hinunterliefen, während Jo mir die ganze Zeit weißglühende, funkenschlagende Blicke zuwarf.
Ich konnte die Spur in etwa neunzig Zentimeter Höhe am Baumstamm sehen; das Weiß schien in der Finsternis über der Rinde zu schweben. Genau hier war das Unbehagen, das die anderen Träume durchdrang, zu etwas weitaus Schlimmerem geworden. Noch bevor das verhüllte Ding aus dem Haus gestürmt war, hatte ich gespürt, daß etwas nicht stimmte, etwas verzerrt war; ich hatte gespürt, daß irgendwie das Haus selbst den Verstand verloren hatte. An dem Punkt, als ich die vernarbte alte Kiefer erreichte, hatte ich weglaufen wollen wie der Pfefferkuchenmann.
Jetzt empfand ich das nicht. Ich war ängstlich, ja, aber nicht panisch erschrocken. Zum einen, weil nichts hinter mir war, kein Geräusch geifernden Atems. Das Schlimmste, dem man in diesen Wäldern begegnen konnte, war ein aufgebrachter Elch. Oder, dachte ich, wenn man richtiges Pech hatte, einem stinksauren Bären.
Im Traum war der Mond mindestens zu drei Vierteln voll gewesen, aber in dieser Nacht stand kein Mond über mir am Himmel. Und es würde auch keiner mehr herauskommen; als ich in der heutigen Ausgabe der Derry News die Wettervorhersage überflogen hatte, war mir aufgefallen, daß wir Neumond hatten.
Selbst das stärkste Déjà-vu-Erlebnis ist empfindlich, und beim Gedanken an den Himmel ohne Mond zerplatzte meines. Der Eindruck, meinen Alptraum zu erleben, verflog so unvermittelt, daß ich mich sogar fragte, warum ich das alles gemacht hatte, was ich damit beweisen oder erreichen wollte. Jetzt mußte ich den ganzen dunklen Weg zurückgehen, um mein Auto zu holen.
Na gut, aber ich würde es mit einer Taschenlampe aus dem Haus machen. Ganz bestimmt war eine von ihnen noch gleich innerhalb der -
Eine Reihe abgehackter Explosionen ertönte auf der anderen Seite des Sees, die letzte laut genug, daß ihr Echo von den Hügeln widerhallte. Ich blieb stehen und holte hastig Luft. Vor wenigen Augenblicken wäre ich nach diesem unerwarteten Geknalle wahrscheinlich schreiend und panisch vor Schrecken die Einfahrt zurückgelaufen, aber nun erschrak ich nur kurz. Es waren natürlich Feuerwerkskörper, der letzte - und lauteste - vermutlich ein Kanonenschlag. Morgen war der vierte Juli, und auf der anderen Seite feierten ungeduldige Kinder verfrüht, wie Kinder es gerne tun.
Ich ging weiter. Die Büsche griffen immer noch wie Hände nach mir, aber sie waren gestutzt, ihre Berührung nicht sehr bedrohlich. Und ich mußte mir auch keine Gedanken machen, daß der Strom ausgefallen sein könnte; ich war nahe genug an der hinteren Veranda, daß ich Falter im Licht flattern sehen konnte, das Bill Dean für mich angelassen hatte. Und selbst wenn der Strom ausgefallen wäre (im westlichen Teil des Staates verlaufen immer noch viele Leitungen oberirdisch, daher fällt er oft aus), wäre automatisch der Generator angesprungen.
Dennoch registrierte ich ehrfürchtig, wieviel von meinem Traum tatsächlich da war, auch wenn das übermächtige Gefühl der Wiederholung - des erneuten Durchlebens - verschwunden
war. Jos Blumenkübel standen da, wo sie immer gestanden hatten, und säumten den Weg, der zu Saras winzigem Strandabschnitt führt; ich nehme an, Brenda Meserve hatte sie im Keller verstaut gefunden und sie von einem Mitglied ihres Teams aufstellen lassen. Nichts wuchs darin, aber ich vermutete, daß sich das
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