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Sara

Sara

Titel: Sara Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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vorbei, noch ehe die Spucke den Sand am Straßenrand berührte. Binnen eines Augenblicks, als wäre es nie dagewesen.
    »Der Mann hat gespucken«, bemerkte das Mädchen sachlich.
    »Entschuldigung«, sagte ich. Ich war gleichermaßen bestürzt. Was, in Gottes Namen, war das gewesen? »Ich schätze, das war eine leicht verspätete Reaktion.«
    Mattie sah besorgt drein, als wäre ich achtzig und nicht vierzig. Ich dachte, daß für ein Mädchen ihres Alters vierzig wahrscheinlich achtzig ist . »Möchten Sie mit zum Haus kommen? Ich gebe Ihnen ein Glas Wasser.«
    »Nein, es geht mir schon wieder gut.«
    »Nun ja, Mr. Noonan … ich will nur sagen, so etwas ist mir noch nie passiert. Ich habe Wäsche aufgehängt … sie war im Haus und hat sich einen Mighty-Mouse -Trickfilm auf Video angesehen … als ich reinging, um noch ein paar Wäscheklammern zu holen …« Sie sah das Mädchen an, das nicht mehr lächelte. Allmählich dämmerte es ihr. Ihre Augen waren groß, und sie war den Tränen nahe. »Sie war fort. Ich dachte einen Augenblick, ich würde vor Angst sterben.«
    Nun fingen die Lippen des Kindes an zu zittern, und ihre Augen liefen wie auf Kommando über. Sie fing an zu weinen. Mattie strich ihr über das Haar und streichelte den kleinen Kopf, bis er an ihrem Woolworth-Top ruhte.
    »Schon gut, Ki«, sagte sie. »Diesmal ist es ja gutgegangen, aber du darfst nicht auf die Straße. Das ist gefährlich. Kleine Dinger werden auf der Straße überfahren - und du bist ein kleines Ding. Das kostbarste kleine Ding auf der Welt.«
    Sie weinte noch lauter. Es war das erschöpfte Weinen eines Kindes, das ein Nickerchen machen mußte, bevor es weitere Abenteuer bestehen konnte, am Strand oder sonstwo.

    »Kia böse, Kia böse«, schluchzte sie am Hals ihrer Mutter.
    »Nein, Liebes, nur erst drei«, sagte Mattie, und falls ich noch Zweifel gehabt hatte, ob sie eine gute Mutter war, schmolzen sie jetzt dahin. Vielleicht waren sie auch schon vorher weggewesen - immerhin war das Kind gut genährt, adrett, gepflegt und unversehrt.
    Auf einer Ebene nahm ich das alles zur Kenntnis. Auf einer anderen versuchte ich, die seltsame Geschichte zu verarbeiten, die mir gerade widerfahren war, und das gleichermaßen seltsame Zusammentreffen, das ich gerade zu hören geglaubt hatte - daß das kleine Mädchen, das ich vom Mittelstreifen getragen hatte, den Namen trug, den wir unserem Kind hatten geben wollen, sofern unser Kind ein Mädchen geworden wäre.
    »Kia«, sagte ich. Staunte regelrecht. Ich strich ihr zaghaft über den Hinterkopf, als könnte meine Berührung sie zerbrechen. Ihr Haar war von der Sonne gewärmt und fein.
    »Nein«, sagte Mattie. »Besser kann sie es noch nicht aussprechen. Kyra , nicht Kia. Kommt aus dem Griechischen. Es bedeutet damenhaft.« Sie schlurfte ein wenig verlegen. »Ich hab’ ihn aus der Namensfibel für Babys. Als ich schwanger war, war ich irgendwie auf Oprah. Besser als zum Amokläufer zu werden, schätze ich.«
    »Ein schöner Name«, sagte ich. »Und ich halte Sie nicht für eine schlechte Mom.«
    Was mir in diesem Augenblick durch den Kopf ging, war eine Geschichte, die Frank Arlen einmal bei einem Essen an Weihnachten erzählt hatte - es ging um Petie, den jüngsten Bruder, und der ganze Tisch hatte Frank zu Füßen gelegen. Sogar Petie, der behauptete, daß er sich überhaupt nicht an den Vorfall erinnern konnte, lachte, bis ihm Tränen über die Wangen liefen.
    An Ostern, sagte Frank, als Petie etwa fünf war, hatten die Eltern sie Ostereier suchen lassen. Beide Elternteile hatten am Abend zuvor über hundert bemalte hartgekochte Eier im Haus versteckt, nachdem sie die Kinder bei den Großeltern abgeliefert hatten. Alle hatten einen prima Ostersonntagmorgen, jedenfalls bis Johanna von der Veranda aufschaute, wo
sie ihren Anteil der Beute zählte, und schrie. Da war Petie und kletterte fröhlich auf dem Dachüberhang im ersten Stock des Hauses herum, keine zwei Meter vom Rand und der betonierten Veranda darunter entfernt.
    Mr. Arlen hatte Petie gerettet, während der Rest der Familie unten stand, sich an den Händen hielt und starr vor Entsetzen und Faszination war. Mrs. Arlen hatte ununterbrochen den Rosenkranz gebetet (»so schnell, daß sie sich anhörte wie eines der Backenhörnchen auf dieser alten Witch-Doctor -Schallplatte«, hatte Frank gesagt und lauter denn je gelacht), bis ihr Mann mit Petie auf den Armen wieder durch das offene Schlafzimmerfenster verschwunden war. Dann war sie auf

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