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Sara

Sara

Titel: Sara Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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ob das Dach wirklich die Schneelast trug. »Was haben Sie gehört?«
    »Hauptsächlich das, was Royce Merrill und Dickie Brooks herumerzählt haben«, sagte er. »Darüber hinaus nicht viel. Vergessen Sie nicht, Mutter und ich sind in Virginia gewesen. Sind erst gestern abend gegen acht zurückgekommen. Trotzdem ist es natürlich das große Thema unten im Laden.«
    Einen Augenblick blieb ich derart auf Sara Lacht fixiert, daß ich keine Ahnung hatte, wovon er redete. Ich konnte nur daran denken, daß sich die Leute das Maul über die seltsamen Geräusche in meinem Haus zerrissen. Dann klingelte es beim Namen Royce Merrill, und alles andere klingelte mit. Merrill war das alte Opossum mit dem goldgeschmückten Gehstock und dem anzüglichen Blinzeln. Old Vierzahn. Mein Hausmeister sprach nicht von geisterhaften Geräuschen; er sprach von Mattie Devore.
    »Holen wir uns eine Tasse Kaffee«, sagte ich. »Sie müssen mir erzählen, in was ich da hineingeraten bin.«
     
    Als wir auf der Terrasse saßen, ich mit frischem Kaffee und Bill mit einer Tasse Tee (»Kaffee brennt bei mir heutzutage an beiden Enden«, sagte er), bat ich ihn, mir zuerst die Royce-Merrill /Dickie-Brooks-Version meiner Begegnung mit Mattie und Kyra zu schildern.
    Es war besser, als ich erwartet hatte. Die beiden alten Männer hatten mitbekommen, wie ich mit dem kleinen Mädchen auf dem Arm am Straßenrand stand, und meinen Chevy gesehen, der mit offener Fahrertür halb im Straßengraben parkte, aber offenbar hatten sie nicht gesehen, wie Kyra den weißen Mittelstreifen der Route 68 als Hochseil benutzte. Aber wie um das wettzumachen, behauptete Royce, daß Mattie mir eine innige Umarmung - mein Held - gewährt und einen Kuß auf den Mund gegeben hatte.
    »Hat er auch mitgekriegt, wie ich sie in den Hintern gekniffen und ihr die Zunge in den Mund gesteckt habe?« fragte ich.
    Bill grinste. »So verwegen ist Royces Fantasie nicht mehr gewesen, seit er fünfzig war, und das ist vierzig oder mehr Jahre her.«

    »Ich habe sie nicht berührt.« Nun … da war dieser Augenblick, als mein Handrücken ihre Brust streifte, aber das war unabsichtlich geschehen, was die junge Dame auch immer denken mochte.
    »Scheiße, das müssen Sie mir nicht erzählen«, sagte er. » Aber … «
    Er sagte dieses Aber so, wie es meine Mutter immer gesagt hatte, ließ es davonschweben wie den Schwanz eines todgeweihten Drachens.
    »Aber was?«
    »Sie wären gut beraten, ihr aus dem Weg zu gehen«, sagte er. »Sie ist nett - fast eine Unschuld vom Lande, wissen Sie -, aber sie macht Ärger.« Er machte eine Pause. »Nein, das ist ihr gegenüber nicht fair. Sie hat Ärger.«
    »Der alte Mann will das Sorgerecht für das Kind, richtig?«
    Bill stellte die Teetasse auf dem Geländer ab und sah mich mit hochgezogenen Brauen an. Spiegelungen vom See huschten wie Wellen über sein Gesicht und verliehen ihm ein exotisches Aussehen. »Woher wissen Sie das?«
    »Eine Vermutung, aber eine von der begründeten Sorte. Ihr Schwiegervater hat mich Samstag abend während des Feuerwerks angerufen. Er ist zwar nicht offen damit herausgerückt, was er eigentlich wollte, aber ich bezweifle, daß Max den weiten Weg ins TR-90 auf sich genommen hat, um Jeep und Wohnwagen seiner Schwiegertochter reparieren zu lassen. Also, wie lautet die Geschichte, Bill?«
    Einige Zeit sah er mich nur an. Es war fast der Blick eines Mannes, der weiß, daß sein Gegenüber sich mit einer schweren Krankheit angesteckt hat, aber nicht sicher ist, wieviel er ihm sagen soll. Es machte mich durch und durch nervös, so angesehen zu werden. Außerdem gab es mir das Gefühl, als würde ich Bill Dean in eine unangenehme Lage bringen. Immerhin hatte Devore hier seine Wurzeln. Und ich nicht, wie gut Bill mich auch leiden konnte. Jo und ich waren von auswärts. Es könnte schlimmer sein - ich hätte aus Massachusetts oder New York stammen können -, aber Derry, wenn auch in Maine, war trotzdem auswärts.
    »Bill? Ich könnte ein klein wenig Navigationshilfe brauchen, wenn Sie -«
    »Sie sollten ihm aus dem Weg gehen«, sagte er. Das unbekümmerte Lächeln war verschwunden. »Der Mann ist verrückt.«
    Einen Augenblick dachte ich, Bill wollte damit nur sagen, daß Devore ein bißchen exzentrisch war, aber dann sah ich ihm noch einmal ins Gesicht. Nein, entschied ich, er meinte nicht exzentrisch; er meinte ›verrückt‹ im wortwörtlichen Sinne.
    »Inwiefern verrückt?« fragte ich. »Verrückt wie Charles Manson? Wie Hannibal

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